WORTE WIRKEN: Religion ist nichts für Feiglinge
Es hat ihr nichts genützt,
Sie ist trotzdem gestorben.
Bärbel Mohr hatte das Buch Bestellungen beim Universum, ein Handbuch zur Wunscherfüllung geschrieben.
Ihr Wunsch, vom Krebs geheilt zu werden, wurde nicht erfüllt.
Dies ist keine Häme, löst aber Fragen aus.
Wir seien Schöpferwesen, so rauscht es aus dem esoterisch-spirituellen Blätterwald. Wir könnten alles manifestieren, wenn wir nur unsere Größe lebten.
Auch im christlichen Denken bittet man Gott um dieses und jenes. Und wenn es dann doch ganz anders kommt?
Was, wenn Gott die Gebete nicht erhört?
Religion oder Esoterik?
Meine Großmutter Marie war eine gläubige Frau.
Die Lebensspanne Maries umfasste zwei Weltkriege, vier Staatsformen, viele Gebete, noch mehr Arbeit und zwei verlorene Kinder.
Das Bild zeigt eine stattliche junge Bauersfrau mit dem natürlichen Stolz derjenigen, die weiß, wer seit Jahrhunderten das Land ernährt.
Marie starb mit 62 Jahren als gebückte Greisin mit schlohweißem Haar und tiefschwarzer Kleidung.
Ihr noch nicht einmal siebzehnjähriger Sohn fiel im Frühjahr 1945 ganz in der Nähe von zuhause. Der Ältere kam in Russland ums Leben.
Nie habe ich sie gefragt, was sie gebetet hat, wie oft sie ihren Gott angefleht hat, ihre Kinder wieder zurückkommen zu lassen.
Nie konnte ich sie fragen, ob sie vor ihrem Gott auf den Knien lag.
Wie ich meine Großmutter noch in Erinnerung habe, hat sie bestimmt jedes ihrer Gebete abgeschlossen mit „Dein Wille geschehe“.
Wie oft laberte ich in meiner Kindheit und Jugend das „Vater unser“ herunter.
Erst während ich Maries Geschichte vor vier Jahren aufschrieb, sackte es so richtig in mich ein:
Das tiefste und gleichzeitig härteste Gebet heißt: „Dein Wille geschehe.“
Echte Religion ist nichts für Feiglinge.
Herzliche Grüße und ein gutes Wochenende
von Lea Söhner
PS:
Das Schicksal meiner Großmutter habe ich in meinem zweiten Buch erzählt.
„Die Vögel singen weiter“ ist eine tiefgründige Auseinandersetzung mit den letzten Dingen.
Es ist für mutige nicht-religiöse, als auch für mutlose religiöse Menschen, für Fragende und Wissende.
Liebe Frau Söhner,
„Dein Wille geschehe“ ist eigentlich ein Widerspruch dazu, dass Gott dem Menschen einen freien Willen gegeben hat (Adam und Eva im Paradies haben das allerdings schon „vermasselt“). Hilfreich wäre die Vergabe der Willensstärke gewesen, an der es leider an allen Ecken hapert.
Insofern teile ich Ihre Aussage, dass Religion nichts für Feiglinge ist. Wahrscheinlich muss man sich ihr mutig unterwerfen.
Herzliche Grüße
Roswitha Götzmann
Liebe Frau Götzmann,
danke für Ihren Kommentar. Was Sie schreiben, stimmt hundertprozentig. Die Frage bleibt offen: was ist Hingabe? Was ist freier Wille? Was ist Selbstverantwortung?
Die Widersprüche konnte ich bisher noch nicht lösen. Ich sollte mich bei einem der nächsten Rundbriefe mit dem freien Willen beschäftigen. Danke für die Inspiration.
Herzlich Lea Söhner