Sterbenlassen

Sterbenlassen

Als der Philosoph Voltaire im Sterben lag, kam ein Priester und wollte ihm die Sterbesakramente verpassen.

Zum Entsetzen seiner anwesenden Schüler stimmte Voltaire zu.

„Dies ist nicht der Moment, um sich neue Feinde zu schaffen“, soll er gesagt haben.

Hat es der große Kirchenkritiker und Philosoph der Aufklärung am Ende doch noch mit der Angst zu tun bekommen?

Das wäre kein Wunder, denn wir kennen nur angstmachende Worte und Symbole, wenn wir an den Tod denken.

Worte wirken und Bilder sind die Sprache der Seele.

In ganz alten Zeiten war der Tod die große Mutter, die uns in die Arme nahm und durch die Anderswelt führte. Sie sang ein Wiegenlied dabei und half den Menschen, sich fallen zu lassen.

Es gibt Überlieferungen, die von der „Tödin“ sprechen. Sie war die Göttin in ihrer schwarzen Gestalt und allerdings nicht nur harmlos.

Trotzdem war sie sowohl mit dem Tod als auch mit der Geburt verbunden und symbolisierte immer die Gleichzeitigkeit von zerfallen und neu werden.

Das ist gut, denn nicht nur am Ende unseres Lebens wirkt der Tod. 

Immer wieder müssen wir „sterbenlassen“, um unser Leben in Fluss zu halten.

Sei es eine verlorene Arbeitsstelle, sei es eine Beziehung, die zu Ende ist, sei es eine Fehlgeburt, die betrauert werden muss oder ein Mensch, den wir verlieren.

Sterbenlassen mitten im Leben

Hier kann uns vielleicht das Bild der großen Mutter helfen, diesen Prozess auch als etwas Positives zu sehen.

Ist das bewusste Sterbenlassen nicht auch ein schöpferischer Akt? Eine Art Geburtsvorgang?

Zusammen mit der Psychologin Beatrix Angst habe ich eine Facebook-Gruppe mit dem Namen Sterbenlassen eröffnet.

Sie steht all jenen offen, welche sich über das Sterbenlassen austauschen wollen. Dazu heiße ich Sie herzlich willkommen.

Ich wünsche Ihnen noch eine gute Passionszeit, damit am Ostersonntag Auferstehung und Neugeburt stattfinden können.

Ihre Lea Söhner

PS: Lesen Sie meinen Disclaimer, vielleicht ist er interessant. Es geht über die Hintergründe meines Rundbriefs.

2 Kommentare

  1. Johanna 18. März 2023 at 20:20 - Antwort

    Ob wir wollen oder nicht, ob wir es zulassen oder nicht, unaufhörlich sterben wir und werden neu. Leben ist genau das, der ständige, unaufhörlich kreative Wandel.
    In dem kleinen, magischen Essay „Fragment über die Natur“, das Goethe zugeschrieben wird und das ich gerade gestern in M. Bröckers schönem Büchlein „Newtons Gespenst und Goethes Polaroid“ gelesen habe, heisst es über die Natur: “ Leben ist ihre schönste Erfindung, und der Tod ist ihr Kunstgriff, viel Leben zu haben.“

  2. PAUL 22. März 2023 at 6:14 - Antwort

    Zuerst zu Voltaire:
    Er hat die Sakramente verweigert, also nicht angenommen, weil er sich nicht den Teufel zum Feind machen wollte. Das war seine letze spöttische Bemerkung gegenüber der Kirche, die ja schon sein „Feind“ war. Es wurde ihm daraufhin ja auch das kirchliche Begräbnis vorerst verweigert. Erst nach Betreiben seiner Nachkommen hat dieses dann doch noch stattgefunden….
    Zum Leben und Sterben:
    Es ist ja kaum möglich, irgenwo eine Plattform zu finden, wo man sich über dieses Thema unterhalten kann. Selbst bei unserer Klassenzusammenkunft , alle achzig und mehr – wird dieses Thema jeweils ängstlich vermieden. (Dafür umso mehr über Krankheiten gejammert..)
    Hier, in der Buddhist monastery Chiang Mai, ist dies dagegen ein Grundthema: Die Frage nach Geburt und Tod, wird oft erweitert zu „warum wir – und das Universum – existieren“.
    Die Antwort Buddhas; “ … du findest die Antwort nur in dir selbst.. “ wird auf vielfältige Weise diskutiert und gelehrt und mittels Meditation bearbeitet.
    Ich bin gespannt, ob ich bald eine Antwort finden werde…(bin noch nicht weit auf dem Pfad der Erleuchtung….haha)
    P.S. Die Einheimischen hier können – im Gegensatz zu den meisten Touristen – noch wirklich fröhlich sein und lachen…

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