… und meine linksradikale Jugend

linksradikal

Links war das, was auf dem Banner zwischen den Bäumen steht: Jankees verjagen, Nato zerschlagen. Für meine altersmilden Ohren klingt das etwas martialisch, zugegeben.

Doch wie würde ein solches Statement in der heutigen politischen Landschaft aufgenommen werden? Rechts? Hassrede?

Ob Nato-Doppelbeschluss, Heilbronner Waldheide oder die riesigen Friedensdemos in Bonn, (für die Jüngeren unter uns: das war damalige Hauptstadt der BRD):

Einen beträchtlichen Teil meines jungen Lebens verbrachte ich auf Demos oder ließ mich vom Tor des Nato Hauptquartiers in Stuttgart Vaihingen wegtragen. Angeklebt haben wir uns damals allerdings nicht.

Für Protest gab es vielfältige Möglichkeiten: AKW Wackersdorf, Mutlangen oder Startbahn West, wo ich stolz neben Joschka Fischer marschierte.

Peinlich an den Demos waren die wenigen mitlaufenden Flaggen der MLPD, der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands.

Diese und nur diese wurde von ZDF und ARD fotografiert und unsere Friedensdemos bezeichneten die Medien als «kommunistisch unterwandert».

Ein Kommunist wurde damals propagandistisch so gehandelt wie heute ein Querdenker oder ein Verschwörungstheoretiker.

links, Lea Söhner

Der Putsch gegen Allende in Chile 1973 politisierte unsere Generation

Staunend trat ich im Alter von fünfzehn Jahren in die faszinierende Welt des politischen Widerstands ein: mit meiner Freundin besuchte ich eine Infoveranstaltung zum Chile-Putsch im Deutschhofkeller Heilbronn.

Studenten und Studentinnen, die meisten ungefähr zehn Jahre älter als ich, saßen auf Sesseln, Holzstühlen oder auf dem Boden des überfüllten Kellerraumes.

Die Männer trugen über wichtigen Gesichtern meist lange lockige Haare. Die jungen Frauen holten Getränke an der Bar für sie.

Für unsere Generation der siebziger Jahre waren die 68er Objekte grenzenloser Bewunderung.

In der Landkommune meiner großen Schwester in Spanien lernte ich Fritz Teufel kennen, der später an Parkinson gestorben ist.

Fritz Teufel! Was für ein großer Name! Fritz Teufel – das klang wie Rainer Langhans und Uschi Obermeier, aber auch wie Rudi Dutschke und Benno Ohnesorg.

Später bildete sich aus der 68er Bewegung die RAF heraus.

Dieser Schwenk in die Gewalttätigkeit wurde von einem V-Mann des Verfassungsschutzes namens Peter Urbach aktiv angeschubst.

Er versorgte die an sich friedliche Bewegung mit Waffen und Sprengstoff. Vehement sprach er von der Notwendigkeit, sich zu bewaffnen.

Der Sympathisant

Nun kam ein Begriff in die Medien und der war schlimmer als Kommunist: Das war der Sympathisant. Und den könnte man heute in der propagandistischen Wirkung vergleichen mit Nazi, Rechtsextremist, Antisemit, Quierdenker, Reichsbürger. Die Propagandamaschine bleibt die gleiche. Nur die Worte wechseln.

Ich war eine der ersten TAZ-Leserinnen, damals noch ein linksradikales Blatt, heute stamm auf Nato-Kurs.

Als die Grünen gegründet wurden, wusste ich endlich, was ich wählen sollte, denn die Grünen waren einmal eine Antikriegspartei. (Dies nur für die Jüngeren unter uns).

links, lea söhner, linksradikale Jugend

Der Bruch mit meiner Lieblingspartei „Die Grünen“ kam nicht plötzlich

Aber den Anfang weiß ich noch: Es war der völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen Jugoslawien. Joschka Fischer, bombardierte gemeinsam mit Gerhard Schröder, angeführt von den USA mehrere Monate lang in Serbien vor allem Zivilisten.

Wie krass dieses gebrochene Tabu war, kann man sich heute nicht mehr vorstellen: die Bundeswehr kam zum ersten Mal nach dem zweiten Weltkrieg zum Einsatz im Ausland. Das war bis dahin undenkbar.

Um den Schock von uns Linken und Grünen zu sedieren, sprach Joschka Fischer seinen berühmten Satz:

„Ich habe gelernt, nie wieder Krieg, aber ich habe auch gelernt nie wieder Auschwitz.“ (Joschka Fischer)

In meinem ganzen politischen Leben ist dies der infamste und abgefeimteste Satz, den ich jemals gehört habe. Wie groß die Lüge dieses völkerrechtswidrigen Angriffskrieges war, zeigt anschaulich der Film „Es begann mit einer Lüge“

Ich zog mich aus dem aktiven politischen Widerstandsgeschehen nach und nach zurück. Die TAZ las ich noch bis in die frühen 2000er Jahre. Meine Grundpositionen aus der rebellischen Jugendzeit behalte ich bis heute bei:

  • Pazifismus (ein ungerechter Friede ist besser als ein gerechter Krieg)
  • Kritik am US-Imperialismus und der NATO
  • Kritik an den Giganten des Neoliberalismus: dem militärisch-industriellen Komplex sowie dem pharmazeutisch-industriellen Komplex – heute gehört auch Big Tec dazu.
  • Das Einstehen für das Grundgesetz als vorstaatliches Recht
links, lea söhner

Wann hat die Linke die Seiten gewechselt?

Was ist nur geschehen? Ich habe es irgendwie nicht mitbekommen. Alle meine linken Positionen werden heute als rechts geframt. Ich reibe mir die Augen.

Nato zerschlagen, Yankees verjagen – Auch wenn ich es inzwischen gewiss friedlicher formulieren würde, stelle ich mir die Frage:

  • Wo steht heute jemand, der die Rolle der NATO hinterfragt, die zum Ukrainekrieg geführt hat? Rechts oder links?
  • Wo steht heute eine, die die mehr als 60 Militärbasen der USA auf dem Boden der BRD öffentlich anprangert? Rechts oder links?
  • Was passiert heute mit jemandem, der der Pharmaindustrie während der C-Krise auch nur annähernd misstrauisch gegenüberstand? Rechts oder links?
  • Wo wird eine platziert, die heute für das Grundgesetz einsteht? Querdenker! Rechts, rechts, Nazi Nazi. … Ich hab’s satt!

Ich gebe meine Identifizierung als Linke auf. Rechts war ich sowieso nie.

Jetzt bin ich politisch Non-binär: Links oder rechts war gestern.

Für mich gibt es nur noch Freiheit oder Totalitarismus.

Ein Kommentar

  1. Daniela Meier 7. März 2023 at 19:12 - Antwort

    Liebe Lea, das kann ich alles genauso unterstreichen! Ich finde es auch gruselig, was hierzulande gerade vor sich geht. Das Umgehen mit anderen Meinungen ist komplett abstrus. Und das „Normale“ wird gerade alles auf den Kopf gestellt. Sämtliche Worte werden einem im Mund rumgedreht bzw. umgedeutet. Eine ganz subtile Art des „Neusprech“… 1984 lässt grüßen!

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