Nietzsches Geburtstag vergessen?

Nietzsche

Bild: Schopenhauer, Goethe und Nietzsche im Himmel während sie von dort aus die Verleihung des Deutschen Buchpreises im Jahr 2022 betrachten.

Haben wir Nietzsches Geburtstag wieder vergessen? Es war der 15. Oktober und es wäre der 178ste gewesen. Nun – macht nichts – wir hatten ja zwei Tage später, am 17. Oktober 2022, die Verleihung des Deutschen Buchpreises.

Der zeigte, was noch übrig ist vom deutschen Geist, den Nietzsche schon 1871 gemeuchtelt sah.

Die Gründung des Deutschen Reichs sei der Kehlkopfschnitt des deutschen Geistes, so unkte er seinerzeit.

Aber er starb nicht sofort, der deutsche Geist. Er hatte noch ein paar schöne Blüten – wie Pflanzen notreifen, wenn sie schon ausgerissen worden sind. In den zwanziger Jahren gab es viele dieser wundervollen Blüten.

Während des tausendjährigen Reiches musste der deutsche Geist zeitweise ins Exil, der Rest wurde ermordet. In der Nachkriegsära konnte man noch seinen letzten Hauch fühlen. Irgendwann war endgültig Schluss.

Die Verleihung des Deutschen Buchpreises im Jahr 2022 ist nicht ein Abgesang auf den deutschen Geist – diesen hat Nietzsche seinerzeit schon besungen. Nein, es ist … hmm…was ist es?

Nietzsche hat ihn wunderbar beschrieben – den Zeitgeist, der nach dem Tod des deutschen Geistes in diesem Land herrscht. Der Zeitgeist, der eine solche Wahl des Deutschen Buchpreises 2022 möglich macht.

Lassen wir ihn selbst zu Wort kommen:

Wehe, es kommt die Zeit, wo der Mensch keinen Stern mehr gebären wird. Wehe! Es kommt die Zeit des verächtlichsten Menschen, der sich selber nicht mehr verachten kann. Seht, ich zeige euch den letzten Menschen.

Was ist Liebe? Was ist Schöpfung? Was ist Sehnsucht? Was ist Stern? – So fragt der letzte Mensch und blinzelt. Die Erde ist dann klein geworden, und auf ihr hüpft der letzte Mensch, der alles klein macht. Sein Geschlecht ist unaustilgbar wie der Erdfloh; der letzte Mensch lebt am längsten.

«Wir haben das Glück erfunden» – sagen die letzten Menschen und blinzeln. (…)

Ein wenig Gift ab und zu, das macht angenehme Träume. Und viel Gift zuletzt, zu einem angenehmen Sterben. (…)

Man ist klug und weiß alles, was geschehen ist: so hat man kein Ende zu spotten. (…) Man hat sein Lüstchen für den Tag und sein Lüstchen für die Nacht: aber man ehrt die Gesundheit.

Aus: «Also sprach Zarathustra» Friedrich Nietzsche

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Ein Kommentar

  1. Johann 14. November 2022 at 9:19 - Antwort

    Hallo Lea, schön und klug von dir an den genialen Nietzsche zu erinnern. Ist er nicht auch schon lange auf der rapid wachsenden Liste der geistigen Verschwörer!!
    Keep on rocking!
    Ich habe auch dein Büchlein übers Sterben gelesen und hier und da ein Tränchen vergossen. Einfache aber sehr berührende Prosa. Danke dafür!
    (Wie geht dein aktuelles Buchprojekt voran?)
    Herzlich Johann

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