Hilde – oder Assoziationen auf der Raststätte

Jetzt hat er sich schon wieder einen Fleck auf seine Krawatte gemacht. Wie ist sie es müde.

Langweiliger Kerl, alter Tattergreis, wie öde er doch ist.

Nun, wie das Leben so spielt, auch wenn er 20 Jahre älter war – ein dickes Bankkonto macht attraktiv, die Partie war gut, die Eltern hatten ein wenig nachgeholfen und dass er nach 50 Jahren Ehe noch immer leben würde, damit hatte keiner rechnen können.

Damals gab es auch noch Erich. Nie hätte der es gewagt, ihr den Hof zu machen, ihr der Tochter aus besserem Hause, aber sie hat gespürt, dass er sie gerne angesehen hatte. Boxer war er im städtischen Sportverein, immer lachend, immer in Bewegung.

Wenn sie ganz still wurde, spürte sie diese kleine Knospe, die Erich hinterlassen hat, tief in ihrem Herzen. Die Knospe von echter Liebe und Leidenschaft. Sie war nie aufgegangen. Liebe und Leidenschaft.

Außerdem ist sie noch niemals barfuß über eine vereiste Wiese gelaufen. Nicht einmal das. Auch hat sie noch nie unter freiem Himmel übernachtet, noch nie ein Gedicht geschrieben und niemals ist sie mit schicken Klamotten in den Rhein gesprungen. Nicht einmal bei der allergrößten Hitze.

Dieser Fleck auf der Krawatte. Soße von der Rasthof-Currywurst, abgewischt und dadurch vergrößert, formlos verschwommen, irgendwie passend zur Farbe des Hemdes, das sich über diesen Altherrenspitzbauch spannte. Über der Brust und den Schultern war er mager geworden, unrasierte Stellen zwischen seinen Halsfalten.


Draußen hupte der riesige LKW mit dem italienischen Nummernschild.

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