Mit Lilith im Paradies
Meine Freundin heißt Lilith. Genauer gesagt, Barbara-Lilith mit dem Rufnamen BaLi. Sie hat mich mit vier anderen Freundinnen letztes Wochenende in ihr wunderschönes Studio in einem Naturistenplatz eingeladen. Ein Paradies im zweifachen Sinn:
Direkt am See, herrlich gelegen, wunderbar gepflegt, alte riesige Bäume, Schilf, Wiesen, Rasenplätze und durch das Fehlen von Hauskatzen gibt es unglaublich viele Vögel.
Naturisten stehen in der Tradition Reformbewegung des 19. Jahrhunderts: gesundes Leben im Freien, vegetarisches Essen, kein Alkohol, Freikörperkultur, Bewegung in der Sonne und im Wasser. Tiefer Respekt voreinander und achsames Verhalten in der Umgebung bestimmen die Atmosphäre. Welch ein Unterschied zum FKK-Platz am Baggersee!
Paradies im anderen Sinn: keine Feigenblätter um die Lenden! Und seltsam – niemand schämt sich seines natürlichen Zustands. Sollte doch die Scham Zeichen sein, dass man (nach dem Sündenfall im Paradies) ein bewusster Mensch ist und nicht bloßes, tierisches Naturwesen. Quatsch? Na gut… lassen wir das.
Wer war Lilith?
Die Verbindung von Lilith und Paradies beschäftigt mich seit Tagen. Wer war die ursprüngliche Lilith und was hat man aus ihr gemacht? Ich mache mich auf die Suche.
Im Mittelalter entstand ein abergläubischer Mythos um die Figur Lilith als eine, die Männer verführt und die Wöchnerinnen im Kindsbett oder Säuglinge in der Wiege tötet. Sie bekam etwas Dämonisches, allerhand Abwehrzauber wurde gegen sie gebraucht.
C.G.Jung, der seine patriarchalen „Archetypen“ psychologistisch in die Ursprünge der Menschheit projizierte, sah in Lilith – folglich – nur den Aspekt der Todesgöttin. Allerdings hat es mythengeschichtlich niemals eine Göttin gegeben, die von Anfang an ausschließlich Todesgöttin war.
Feministinnen sehen in Lilith die erste Frau Adams, die sich geweigert hat, sich ihm zu unterstellen. Deshalb hob sie ihre Flügel und flog davon. Ein tröstliches Bild für Feministinnen, in Lilith das Sinnbild einer Frau zu sehen, die ihre Würde und Unabhängigkeit bewahrt und lieber die Einsamkeit wählt als die Unterwerfung.
Aber auch das war nicht die ursprüngliche Lilith.
Konkret lässt sich die Frage nach den Anfängen nur stellen im Blick auf die frühe Menschheit. Und auch hier ausschliesslich, soweit sie sich durch archäologische Funde, früheste Schriftzeugnisse, oder andere wissenschaftliche Methoden beantworten lässt.
Die Frage, wie das Weltall entstanden ist, muss offen bleiben. Konzepte eines Vatergotts, eines göttlichen Funkens, Schöpfungskonzept oder Weltenplan, eines Geistes an sich, eines Logos – all dies liegt im Feld der Spekulation.
Wenn wir im Bereich des Nachweislichen bleiben, erfahren wir, dass die ersten Menschen das Durchscheinen, das Durchdringen des Transzendenten durch ihre Welt und ihr Dasein als weibliche Kraft und Weisheit erfahren haben. Dafür haben sie uns vielfältige Symbole hinterlassen.
Fündig geworden
Hier komme ich auf das Burney-Relief (oben im Bild), in dem die altorientalische Forschung die Göttin Lilith dargestellt sieht. Sie stammt aus Sumer und hält die Ewigkeitsringe in den erhobenen Händen.
Diese Ringe finden sich übrigens auch in der Ikonographie der Isis und überall dort, wo der Weg der Sonne als Sinnbild für das Mysterium von Leben und Tod steht.
Die beiden Löwen zu ihren Füssen versinnbildlichen die Sonne in ihren Horizonten. Der junge Löwe meint die aufgehende Sonne im Osten, der gealterte Löwe steht im Westen.
Mit ihren Flügeln umspannt Lilith die Weite des Himmels. Sie selbst ist der Himmel – wie übrigens in den frühen Kulturen immer der Himmel das Weibliche symbolisiert.
Lilith ist auch die Weisheit, wie die beiden Eulen zeigen, die ihr zur Seite gestellt sind.
In diesem Denken kommt Weisheit nicht von oben. Sie kann nicht etwa durch Reife erworben werden wie ein Besitz. Weisheit wohnt im Leben selbst, in den Blumen, in den Bäumen, in den Dingen, in jedem Stein. Weisheit entfaltet das Kind im Mutterleib und lässt die Dynamik der Schöpfung ineinander spielen.
Lilith, die erste Frau
So sehen wir in Lilith eine Erscheinungsform der „ersten Frau“ . Sie war nicht die erste Frau Adams. Schon gar nicht war sie von einem Gott erschaffen worden. Lilith selbst war die Erschafferin von Adam und Eva, wenn man so will.
Die Schöpferin von Weib und Mann also und von aller Kreatur. In ihren Händen hält sie Leben und Tod, mit ihr ist die Weisheit und sie umspannt den Himmel. Und vermutlich ist sie es auch, die in Gestalt der Heiligen Schlange die Menschen ermutigt hat, vom Baum der Erkenntnis zu essen.
Es ist die Ermutigung zu lernen, zu wachsen, zu reifen, das Leben und den Geist nicht stillstehen zu lassen. Die Schlange erinnert uns an unser Geburtsrecht, der umfassenden Weisheit zu lauschen, unsere Grenzen immer wieder zu öffnen und unsere Göttlichkeit in uns selbst zu entdecken.
Angekommen
Wie gerne bin ich mit Lilith im Paradies und esse mit Lust die süßen Früchte der Erkenntnis. Sie schmecken immer wieder neu, immer wieder anders. Manchmal auch ein wenig bitter.
Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein, (um wieder einmal den alten Goethe zu bemühen).
Einen großen Namen trägt meine Freundin im hier und jetzt: Barbara-Lilith. Barbara, „die Fremde“.
Fremd ist sie uns allen geworden, die ursprüngliche Lilith – überlagert von der Phantasterei über einen Gott, der keine anderen Götter neben sich leiden kann und der nicht will, dass wir zu viel wissen und der – wie alle Ideologien – nach dem ganzen Menschen greift.
Nicht nur nach unserem Körper, dem er Scham auferlegt, sondern auch nach unserem Geist und nach unserer Seele. Und das Erkenntnisverbot wirkt noch immer.
Kein Wunder, dass Barbara-Lilith sich zuhause fühlt auf dem Naturistenplatz. Dort, wo die Weisheit in der Schöpfung geachtet wird und wo der Mensch in seinem ursprünglichen Zustand sein darf.
So, wie es mich seit 30 Jahren immer wieder im Innersten berührt, wenn ich mich den spirituellen Wurzeln der Menschheit nähere. Zuhause. Auch ich.
Endlich angekommen.
Liebe Lea,
ich danke dir für diesen gedankenreichen Text zu Lilith. Darüber hinaus hast du den Namen Barbara in einen neuen Bezug zu Lilith gebracht, was mir erlaubt, mich aus einem neuen Blickwinkel heraus zu betrachten. Und dies genau zu jenem Zeitpunkt, an dem sich mein Selbstverständnis, mein Lebensalltag und meine Zukunfstvision einem grossen Wechsel unterziehen. Herzumarmung von deiner Freundin BaLi