Die Schnitterin

Eigentlich wollte ich über Friedrich Nietzsche schreiben, aber dann musste ich eine Wiese mähen. Ein Freund hatte mich darum gebeten. Sie war schon überfällig, fast einen Meter hoch. Eine Wiese – bitteschön –  das ist kein Rasen. Ein Rasen hat mit Natur nichts zu tun. Aber in einer Wiese!
Da lebt es …

Trotz Elektromotor an meiner Sense fühlte ich mich spontan verbunden mit meinen Wurzeln, denn alle meine Ahnen haben Wiesen gemäht und Heu gemacht. Der Duft, die Hitze, der Schweiß, die Anstrengung. Es war, als käme ich in eine längst vergessene Heimat zurück. Am liebsten hätte ich ein weißes Kopftuch getragen anstatt der läppischen amerikanischen Schirmmütze meines Freundes.

Drei Stunden Arbeitsmeditation. Da kann man schon auf Gedanken kommen:

Krieg, dachte ich, nichts als Krieg ist das, als ich in dieses Biotop einbrach mit meinem gewalttätigen kreischenden Gerät. Tausende von Käfern und Spinnen flohen, weniger glimpflich kamen Schnecken und Raupen davon denn sie wurden zerhäkselt, manche Gräser bogen und wandten sich, aber ich erwischte sie dennoch. Mohn, Skabiosen, Wiesensalbei, wilde Möhren, Ampfer, alles fiel meiner Zerstörungslust zum Opfer.

Du sollst nicht töten.

 

Manche Pflanzenstrunke waren schon etwas verholzt, da musste ich mehrmals Anlauf nehmen, um sie nieder zu dreschen und die Kamille am Feldrand beugte ihre hundertfachen Köpfe, als wolle sie um Gnade bitten, doch am Schluss habe ich auch sie geschnappt. Keines entkam meinen Schnitter-Armen.

Schnitter.

Unsere Vorfahren mussten dieselben Gedanken gehabt haben beim Mähen. Auch sie brachten Tod und Verderben in diesen wunderbar lebenden Organismus Wiese. Deshalb nannten sie den Tod Schnitter. Eine bekannte Tatsache füllte sich für mich plötzlich mit Leben.  Nur mit der Sense blickt man genauer hinein. Mit Mähmaschine und Traktor sieht man nichts mehr.

Permakultur?

Aber auch da muss man Salat und Kräuter abschneiden, die man essen will. Und was machen die mit den Schnecken? Ein Permakulturgärtner hat es mir verraten. Ich mag’s hier nicht weitersagen. Und was passiert innerhalb des Biotops? Wachsen oder weichen.

Lob der Aggression

Dieser Buchtitel kam mir in den Sinn. Wie viel Aggression ist nötig, um auch nur ein dreigängiges Menü auf den Tisch zu bringen? Ja, Aggression ist eine der fundamentalen Kräfte, die die Welt zusammen halten. Es ist die Lebenskraft an sich, die ordnende, gestaltende Kraft. Aggression gehört zum Menschsein, zum Tier-Sein und ja, es gehört auch zum Pflanze-Sein. Jedes Lebewesen schützt und gestaltet seinen Raum.

Du sollst nicht töten

Niemand kann das fünfte Gebot einhalten. Wenn naturgemäße Aggression unterdrückt wird, entsteht Aggressivität. Trägt das Christentum – genauer gesagt – tragen nicht alle drei mosaischen Religionen deshalb ein so hohes Gewaltpotenzial, weil sie versuchen, die gesunde Aggression niederzudrücken?

Gewaltfreiheit heisst das  fünfte Gebot auf Neu-deutsch. In immer neuen Worten werden Illusionen genährt und unsere natürlichen Kräfte der Aggression geleugnet. Das erschwert den bewussten Umgang damit. Gewalt versteckt sich gerne hinter frommen Worten und guten Taten. Und hat nicht der grosse Gandhi am Ende die Bombenflugzeuge gesegnet, die nach (dem heutigen) Pakistan flogen?

Wir mögen den Mumm nicht mehr aufbringen, ein Tier zu töten und auszuweiden, wir wollen nicht mehr hinschauen, wie es stirbt und am Liebsten haben wir das Schnitzel auf dem Teller, ohne den Vorgang zu erleben, wie aus einem Tier ein Lebensmittel wird.

Ist etwa die Massentierhaltung – welche unbestritten ein Produkt des christlichen Abendlandes ist –  nicht  die psychologische Folge davon?

Auch die Mode der Veganer ändert nichts: Pflanzen leben auch.

4 Kommentare

  1. Inge Wick 6. Juni 2018 at 21:20 - Antwort

    Mit dem Begriff der Gewaltfreiheit sind wir ja schon früher nicht so richtig weitergekommen. Bleibt schon die Frage, wofür und in welcher Form die Gewalt/Aggression akzeptabel ist. Reicht das Offenlegen der Motiven und Beweggründe? Oder müssen wir doch wie die Indianer den Büffel zwar töten, aber nur wenn wir ihn wirklich brauchen und ihm mit Respekt dafür danken..?

  2. jojo 10. Juni 2018 at 16:12 - Antwort

    Vielleicht hatten unsere Ahnen beim Absensen der Wiese in Gedanken all diese Lebewesen vor sich, denen sie den Garaus machten, vielleicht aber hatten sie auch die Notwendigkeit vor sich, die Notwendigkeit des eigenen Überlebens, aber auch die Notwendigkeit des Schnitts für die Wiese. Das Biotop Wiese überlebt nur durch regelmässigen Schnitt!
    Also, wer tötet? Die Schnitterin? Oder der Faule, der es lieber sein lässt?
    Wir kommen nicht drum herum, wir töten ständig, ob wir wollen oder nicht.
    Und da finde ich deinen Kommentar interessant, Inge: Vielleicht ist der Respekt das Ausschlaggebende, der Respekt vor dem Leben, auch beim notwendigen Töten. Dann bin ich keine Vollstreckerin, sondern erkenne und zeige mich als Teil des Lebens.

  3. jojo 10. Juni 2018 at 16:37 - Antwort

    Und zu „Du sollst nicht töten“:
    Ich kann ebenfalls nichts anfangen mit diesem anthropozentrischen Gebot „Du sollst nicht töten“.Auch „Macht euch die Erde untertan“ ist vom gleichen Schlag. Es erscheint mir wie aus einer anderen Bewusstseinswelt. Einer Welt, in der die Vorstellungswelt des Menschen und damit auch die seines Gottes anthropozentrisch war, der Mensch wurde als der Höhepunkt der Schöpfung betrachtet. In der Zeit, aus der diese Gebote stammen, drehte sich die Sonne um die Erde. Inzwischen denken wir da anders darüber. Die Sonne ist zu unserem Mittelpunkt geworden. Als Höhepunkt der Schöpfung betrachten sich beileibe nicht mehr alle >Menschen. Wir haben zwar weiterhin über die Jahrtausende versucht, uns die Erde untertan zu machen, der Gedanke war einfach zuu schön! – allerdings sind manche jetzt dabei zu begreifen, dass wir das nie schaffen werden. Die Erde wird uns problemlos überleben!
    Es gibt da diesen tollen Witz: 2 Planeten treffen sich. Einer beklagt sich, es ginge ihm nicht so besonders gut, er litte unter „Homo sapiens“. Der andere Planet tröstet ihn mit den Worten:“Das geht von allein vorüber“.
    Also lasst uns lieber nach einer nicht so sehr herrscherischen, sondern eher kooperativen, symbiotischen Weltsicht Ausschau halten.

  4. Ruth Schützler 11. Juni 2018 at 16:05 - Antwort

    Das Wort „Schnitter“ ist bei mir eigentlich positiv besetzt und das HeuErnteBild lässt mich sofort meine Kindheit auf dem Land spüren und riechen. Außerdem wurde ich als Diakonin mit dem Wort ausgesandt „..wo sind die Schnitter im Erntefeld“.. als Motivationsbild für das Engagement das ich leisten wollte…na ja, ohne Anpacker geht halt nichts, aber bitte… in aller Freiheit und mit Freude und mit anderen zusammen….derzeit und früher, immer wächst uns das Unkraut über den Kopf und droht unseren klaren Blick und Verstand zu überwuchern… mein Gott, die Nachrichten schieben uns ins Uferlose…. wie sollen wir da die Spreu vom Weizen trennen….und dennoch, greifen wir zur Sense und krempeln die Ärmel hoch … jede und jeder, ob schneiden oder ernten oder säen… alles macht Sinn, wenn es dem Menschen und der gebeutelten Welt dient.
    Freu mich dann auf „Schnitterpausen“.. verschwitzt und erhitzt im Austausch all der befruchtenden Gedanken.. und mit Wein und Früchten und Ölen und guten Erträgen…

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