Endgültig löschen?

Es hilft alles nichts. Nette Geschichten über den Alltag erzählen, das ist eine Ausflucht für zwischendurch. Gerne würde man sich wieder dem täglichen Leben überlassen. Möglichst bald soll alles weitergehen. Vielleicht ein bisschen anders. Aber bald wieder normal. Ohne diesen Schmerz …

Doch sobald man zur Ruhe kommt, ist auch er wieder da. Oder was ist es, das einen hemmungslos heulen lässt, sobald man sich nicht mehr ablenken will und sobald niemand zuschaut? Schmerz, weil er weg ist, der Mann? Mein lieber Cordes, ich vermisse dich. Jeden Abend schreibe ich jetzt einen Brief.
Die Antwort bleibt aus.

Heute auf Skype: diesen Kontakt endgültig löschen? werde ich gefragt. Ja, endgültig. Ich klicke drauf. Endgültig gelöscht. Auf meinem Handy: Endgültig löschen. Sein Bankkonto: endgültig aufgelöst. Das Wegwerfen seiner Steuerunterlagen gibt da schon mehr Befriedigung. Und bei der GEZ-Mahnung:  zurück an Absender, Empfänger verstorben, kommt sogar klammheimliche Freude auf.

Über diesen Schmerz wollte ich schreiben. Woraus besteht der eigentlich? Reue ist mit drin in dieser Gefühlsmischung. Reue, weil ich bis zuletzt nicht wahrhaben wollte, dass er stirbt und wir uns nicht so verabschiedet haben, wie es für uns angemessen gewesen wäre. Reue auch über meine Ungeduld mit ihm, wo es ihm schon schlecht ging. Aus heutiger Sicht kann ich nur den Kopf schütteln über mich.

Dann frage ich mich, ist es auch der Schmerz des Allein-Seins? Nie wieder schnell mal anrufen können, nie mehr seine Hand ergreifen beim Spaziergang durch den Winterwald, die Bachkantaten muss ich jetzt alleine anhören und niemand teilt mehr meine altmodische Bewunderung für Stefan Zweig. Dann ist da auch noch dieses Ding mit dem Gedanken-lesen. Auch das muss ich jetzt alleine tun. Sogar einen neuen Klodeckel hab ich angeschraubt, dafür habe ich zwar einen ganzen Sonntag gebraucht, er wackelt auch ein wenig, aber ich hab’s geschafft.

Aber ich liebe auch das Allein-Sein, wir haben es immer geübt, wir waren kein symbiotisches Paar.
Und – ich muss es zugeben: Gerhard schenkte mir mit seinem Tod auch einen Zugewinn an Freiheit. Mein Leben ist wieder ganz weit, als wäre ich jung und mit meinen zarten 59 Jahren kann ich mich von einem kompletten Haushalt befreien, leer werden, leicht, ohne Dinge. Alles ist plötzlich wieder möglich. Schritte ins Offene. Das fühlt sich gut an.

Dann lasse ich den Schmerz wieder zu und merke, es ist eigentlich die Liebe, die so schmerzt. Sie bricht sich erst durch den Tod richtig Bahn. Ich trauere um das Unvermögen, sie im Leben nicht in dieser Tiefe gelebt haben zu können.

Bild: Gerhards Urnenbestattung im Wald

7 Kommentare

  1. Gerhard Killet 2. Dezember 2017 at 2:37 - Antwort

    Liebe Lea,
    du sprichst mir in vielen Dingen aus dem Herzen.
    Manche Dinge gehen ganz gut und ich wundere mich manchmal was ich zuwege bringe. Und dann könnte ich einfach nur endlos weinen.
    Wenn ich alleine bin und zum Nachdenken und Nachfühlen komme. Auch wenn ich Deinen Text lese und sehe, dass es Dir ähnlich geht.
    Du kannst das gut ausdrücken in Deinen Texten. Das freut mich und ich bin Dir dankbar dass Du es tust und ich das lesen darf.
    Ich schicke Dir ganz liebe Grüße
    Gerhard Killet

  2. Kristina 2. Dezember 2017 at 11:52 - Antwort

    Hallo, liebe Lea und Gerhard Killet,
    Gerne lese ich Eure Worte und ja, Trauer kommt unvermittelt, die Freude über das erste Enkelkind nicht teilen können etc. Was bleibt, ist die Liebe als Essenz und die Dankbarkeit, immer mehr in der Liebes Fähigkeit wachsen zu können und sie der Welt zurückzuschenken, dass alles etwas lichter und leichter wird. Und die Freude und Gewissheit, wenn ich selber mich dem letzten Atemzug hingeben, da gibt es immer mehr ausgestreckte Hände, welche das Hinübergleiten liebevoll erleichtern. Und die Anderweitig will, dass wir es uns gutgehen lassen und weiter unserer Bestimmung folgen.

  3. Elisabeth Müller 12. Dezember 2017 at 10:28 - Antwort

    In nahezu von jedem Kommentar finde ich mich wieder. Und was tatsächlich auch so schmerzhaftbist beschreibt Kristina…es tut unendlich weh die schönen Momente die das Leben mit sich bringt nicht mehr teilen zu können.
    Und man kann schon einiges im realen Leben löschen und frei von materiellen werden…doch lässt sich der geliebte Mensch nicht aus dem Herzen löschen

    Ich wünsche allen Kraft und Mutbtrotz allem wieder ja zum Leben zu sagen

    Elisabeth

  4. Frieder 12. Dezember 2017 at 12:18 - Antwort

    liebe Lea, lieber Gerhard,
    eure sehr berührenden Worte, die hier ins Rollen kommen, und sehr zeitnahe den großen Schmerz beschreiben, erinnern mich immer wieder an das Lied „From a Distance it’s Harmony“ von Bette Middler, und hilft mir und half mir immer im Leben, dass beim Rückblick auf das Leben es einige Jahre später in reine Harmonie mündet. liebe Grüße, Frieder

  5. elisabeth strack 13. Februar 2018 at 13:53 - Antwort

    liebe lea du hast das sehr treffend und berührend beschrieben
    schön dass du das machst, liebe grüße elisabeth

  6. Monika Kochs 13. Februar 2018 at 22:11 - Antwort

    „Die Bachkantaten muss ich jetzt alleine anhören…“
    Liebe Lea, du bist eine solche Herzensfrau! Danke, dass du deine Gedanken zum Tod von Gerhard teilst.

  7. Jacqueline 14. Februar 2018 at 20:03 - Antwort

    Liebe Lea, immer wieder lese ich gerne deine Texte. Und es macht einem so bewusst, dass es oft die einfachsten Dinge sind.

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