WORTE WIRKEN: Itaker, Buschbohnen und Flüchtlinge

Itaker, Buschbohnen und Flüchtlinge

Itaker, Buschbohnen und Flüchtlinge

Bin ich schon so alt?

Als ich Kind war, gab es noch keinen Broccoli und auch keine Auberginen.

Nicht, dass sie Luxus gewesen wären.

Es gab sie nicht.

Dafür war der Endiviensalat so bitter, dass man ihn im warmen Wasser waschen musste, um ihn genießbar zu machen.

Fremdwörter sind wie Genüsse aus fremden Ländern. Manche kommen, um zu bleiben, andere verschwinden zum Glück wieder. (wie z.B. der Hawaiitoast)

Der Ehe-Anbahnungsplatz in meinem Dorf war das Milchhäusle, wo die Landjugend am frühen Abend die Milchkannen in Leiterwagen anbrachte.

Im Übrigen wurde auch überschüssige Muttermilch im Milchhäusle gesammelt und von der Kinderklinik Heilbronn abgeholt. Aber das nur an Rande.

Während die einheimische, bäuerliche Jugend also vor dem Milchhäusle flirtete, hingen die Söhne der italienischen Gastarbeiter beim Marktplatzbrunnen herum.

Man nannte sie Itaker und wenn ein Mädchen etwas mit einem Itaker anfing, war das nicht mehr lustig.

Itaker ist ein verloren gegangenes Wort und ich finde, wir müssen ihm nicht nachtrauern.

Wie überall, gab es auch bei uns viele Vertriebene aus Ungarn, aus dem Sudetenland, aus Ostpreußen.

Mein Vater fuhr am frühen Morgen mit dem Schlepper ins Dorf und brachte einen Anhänger voll von Flüchtlingen mit.

Auf unserem Feld saßen dann diese fremden Menschen mit ihren seltsamen Dialekten um riesige Häufen von Buschbohnen herum. Die Frauen, so hieß es, trügen sechs bis zehn Röcke übereinander.

Meine Eltern rissen die Bohnenbüsche aus und und die Tagelöhner pflückten. Am Abend wurden die Säcke mit den Bohnen gewogen und entsprechend entlöhnt.

Ich war noch zu klein, um zu arbeiten, aber ich hatte trotzdem meinen Spaß. Iwan fand ich besonders interessant. Er besaß einen sensationellen Kropf und legte manchmal Steine in den Sack, um seinen Tagesverdienst etwas aufzubessern.

Meine Mutter verbot uns, Flüchtlinge zu sagen, obwohl alle im Dorf das sagten. Das Wort sei abfällig, meinte sie.

Das war in den sechziger Jahren. Meine Mutter war modern.

Es hilft alles nichts: Flüchtlinge sind Flüchtlinge, auch wenn man versucht, sie anders zu nennen: Schutzsuchende, Asylanten, Flüchtende, Geflüchtete, Asylsuchende und was auch immer.

Flüchtling ist kein schönes Wort. Zugegeben.

Doch Flüchtlinge wird es geben, solange es Krieg gibt.

Wollen wir, dass das Wort verschwindet, müssen wir dafür sorgen, dass die Kriege aufhören.

Ich wünsche Ihnen ein schönes zweites Adventwochenende

Ihre Lea Söhner

Bildnachweis: Gemüse-Söhner, Schwaigern

11 Kommentare

  1. Maria Frank 7. Dezember 2024 at 11:44 - Antwort

    Wunderschön hast du diese Zeit beschrieben, liebe Lea und so klar und einfach deine Empfindungen und Schlussfolgerungen

  2. Mairi Carlsson 7. Dezember 2024 at 13:18 - Antwort

    Das war wieder ein schöner und bereichernder Beitrag. Und der letzte Absatz trifft es auf den Punkt. Vielen Dank!

    • Lea 8. Dezember 2024 at 9:50 - Antwort

      Danke für deine Rückmeldung, Mairi! LG

  3. Karin von Dellemann 7. Dezember 2024 at 19:08 - Antwort

    Ja, die andere Seite fand hier auch manches seltsam: Gastarbeiterkinder, über solch deutsche zusammengesetzte Wörter stolperten dann diese im Unterricht. Für die „Itaker“ war schon das Wort be“fremd“lich, einen Gast bewirteten diese Fremden, ließen ihn nicht arbeiten, auch nicht für Geld. Viele Gastarbeiter blieben und das ist gut so. Nicht nur gastronomisch!!

    Salve Lea

    • Lea 8. Dezember 2024 at 9:51 - Antwort

      Allerdings, liebe Karin! Gut, dass viele Gastarbeiter blieben.
      LG von Lea

  4. Johannes 8. Dezember 2024 at 9:55 - Antwort

    In der Schweiz wurden die Italiener Tschingge genannt, weil die Italiener gerne zu zweit ein Spiel mit den Fingern einer Hand spielten, bei dem es drauf ankam zu erraten, wie viele Finger total aufgestreckt wurden und häufig waren es 5 (cinque), das dann laut ausgerufen wurde. Das Wort Itaker war hier unbekannt, wahrscheinlich, weil es nach Duden im 2. Weltkrieg in Deutschland (abwertend) für italienische Kameraden gebraucht wurde.
    Kriege müssen aufhören, da gebe ich dir recht, und sie werden nicht aufhören, wenn man aufrüstet! Und es gibt auch Wirtschaftsflüchtlinge, die keine echten Flüchtlinge seien, kein Anrecht auf Asyl hätten und ausgeschafft (was für ein fürchterliches Wort!) werden müssten. Hunger, eine Leben ohne Perspektive, Armut, sind genau so legitime Gründe zu fliehen, was in europäischen Ländern im 19. und 20. Jahrhundert sehr extensiv praktiziert wurde und gerne vergessen wird.

    e schöne Sunntig

    Johannes

  5. Janne 10. Dezember 2024 at 13:27 - Antwort

    Liebe Lea,
    ich schätze deine Impulse total und finde sie sehr inspirierend.
    Diesmal fällt mir auf, dass ich dir inhaltlich zustimme, es für mich aber durchaus feine Unterschiede in der sprachlichen Benennung gibt.
    Ich sage immer „geflüchtete Menschen“, da für mich im Vordergrund steht, dass es Menschen sind, von denen die Flucht EIN Aspekt ist. „Flüchtlinge“ verengt mir den Fokus zu sehr.
    Liebe Grüße zu dir!
    Janne

    • Heidemarie Palenga 11. Dezember 2024 at 8:57 - Antwort

      Es gibt einen offiziellen Unterschied zwischen ‚Flüchtlinge‘ und z. B. ‚Vertiebene‘.
      Meine Großeltern und Großtante waren z. B. Vertriebene und meine Eltern (Jahrgang 1924/1927) waren Flüchtlinge. Diese (letzteren) flohen über die Donau nach Wien, wo ich dann Ende März 1946 in einem Krankenhaus, von katholischen Schwestern geleitet, auf die Welt kam….
      Meine Großeltern und -tante sind sozusagen evakuiert worden, mit ein paar Habseligkeiten wurden sie in Güterzüge verfrachtet und in die verschiedenen Bundesländer verteilt!
      Mein Vater hat diese Fluchtgeschichten immer und immer wieder erzählt, im Familien- und Freundeskreis. Ich habe voll Spannung als Kind zugehört….

      • Lea Söhner 11. Dezember 2024 at 9:56 - Antwort

        Vielen Dank, Frau Palenga. Ich wusste nicht um die offizielle Unterscheidung, aber wenn man es genau betrachtet, ist es ja logisch.

  6. Angelika 10. Dezember 2024 at 15:04 - Antwort

    Hawaii-Toast mag ich sehr gerne und mache mir ihn sehr gerne, wenn ich alleine bin. Geht schnell und schmeckt köstlich.

    • Lea Söhner 10. Dezember 2024 at 17:03 - Antwort

      na, dann habe ich diese Köstlichkeit zu Unrecht verschmäht!

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