Die Romanautorin im Interview
Wieso schreiben Sie Familienromane?
Meine Großmutter hatte einundvierzig Enkelkinder und ungefähr hundertzwanzig Urenkel.
Ein schier unerschöpflicher Fundus an Geschichten bereicherte meine Kindheit. Elf Tanten hatten immer viel zu erzählen.
Stoff zu Familiendramen gibt es also genug!
Daraus ist mein Debüt-Roman „Vielleicht im Himmel einmal“ geworden.
Dieses Buch ist aber alles andere als lustig.
Es handelt ja auch vom richtigen Leben! Was soll daran lustig sein?
Im Buch geht es um zwölf Frauen und einen Mann. Gerade weil es so viele sind, wollte ich jeder Figur ein eigenes Kapitel widmen und diese dann verweben.
Warum haben Sie so spät angefangen, zu schreiben?
Ich hatte so viel anderes zu tun. Zuerst arbeitete ich als Diakonin in der Behindertenhilfe, mehrere Jahre bin ich in der Welt herumgereist. Mitte dreißig baute zwei große Tantramassage-Institute in Stuttgart dann in Zürich auf.
Womöglich brauchte ich eine gewisse Reife, um Bücher mit Gefühlstiefe und psychologischem Spürsinn schreiben zu können.
Handelt Ihr neuester Familienroman „Wiederfinden“ auch von Ihrer eigenen Familie?
Nein, diese Figuren und deren Schicksal habe ich allesamt erfunden. Diese Geschichte hat schon lange in mir geschlafen. Ich erzählte sie schon vor vielen Jahren meinem Mann.
Wieso hat es so lange gedauert, bis Sie Ihr zweites Buch geschrieben haben? Es liegen fünf Jahre dazwischen.
Mein Mann ist gestorben und das erste Buch (Vielleicht im Himmel einmal) kam genau am Tag seiner Trauerfeier heraus.
Mein Leben ist durch seinen Tod etwas aus den Fugen geraten. Im September 2022 habe ich dann das Trauerbuch „Die Vögel singen weiter“ herausgebracht.
Erst danach konnte ich die Geschichte von „Wiederfinden“ schreiben.
Das Typische an meinen Familienromanen ist, dass ich viel Raum für die einzelnen Figuren und Schicksale lasse und sie dann – wie in richtigen Familien — aufeinander loslasse.
Die Wurzeln
Bäuerlich sind meine Wurzeln. Bauern und Bäuerinnen waren alle meine Ahnen. Ich trage es in mir, das Bauern-Dasein, die Erinnerung an den Duft der frühlingshaften Erde, den Jubel über die herrliche Erdbeerzeit, die Wärme der Sonne und die Freude über die Fülle der Feldfrüchte, den Schweißgeruch der Arbeit, den Dunst des Herbstes und die Eile, alles einzuholen vor dem ersten Frost.
Ich kenne den Schock des Frühsommerhagels, der die wohlbestellten Felder zerstört, ich rieche den Diesel des Traktors während ich mit Freundinnen, Mutter oder Schwester auf der Pflanzmaschine sitze, singend und schwatzend, ich spüre die väterlichen Sorgen wie eine unsichtbare Last auf mir, ob der Betrieb die große Familie ernähren kann und ich fühle meine blau gefrorenen Fingerspitzen beim Ernten des frostigen Grünkohls.
Das Erdverbundene ist mein Erbe aber auch die verborgene Sehnsucht nach Flügeln wurde mir mitgegeben. Was beflügelt mich? Und wie kann ich wegfliegen mit Stiefeln, die schwer sind von schlammiger Erde?
Hart lastet dagegen das Erbe des christlichen Evangeliums auf mir:
Die Frohe Botschaft, die es nie vermochte, mich froh zu machen. Oder war es doch meine Schuld? Ich habe nicht richtig geglaubt und konnte mich deshalb nicht freuen, dass Jesus für mich gestorben war.
Nie konnte ich es ihm von Herzen danken, nie sein Opfer freudig annehmen. Diese Schuld drückte mich ebenso nachhaltig wie die Bankschulden meines Vaters.
Kalt ist dieses Erbe, eisiger als meine halb erfrorenen Füße beim Schneiden vom Ackersalat, der unter der schneebedeckten Folie wuchs. Scham und Schuld lähmen die Knochen, vergiften die Seele, spalten das Herz, versteifen den Leib, zerstören den Eros und zerschneiden die Weiblichkeit in hui oder pfui.
Aber die reichhaltige Nachlass-Truhe hält auch Schätze bereit.
Meine Mutter schenkte ihre Bereitschaft, sich verunsichern zu lassen in ihrem angestammten Glauben und das Bedürfnis, den Dingen auf den Grund zu gehen.
Mein Vater schenkte mir die Fähigkeit, in der Tiefe zu fühlen und gab mir sein bissiges Misstrauen gegen alle Ideologien der Welt mit auf den Weg.
Hierin und in der tiefen Menschlichkeit meiner bäuerlichen Stammfamilie beginnt für mich die Aussöhnung mit der christlichen Religion.
Der Weg
Mit dieser gemischten Hinterlassenschaft ging ich hinaus in die Fremde und begann mit der schmerzhaften Suche nach mir selbst. Im kirchlichen Studium von Diakonie und Religionspädagogik suchte ich nach seriösen Antworten des Glaubens.
Die feministische Theologie zog mich zeitweilig in ihren Bann aber noch immer blieb eine Leere zurück, die ich nicht zu benennen vermochte.
Zwei kleine Bücher teilten dann mein Leben in vorher und nachher.
„Das Schwarzmond-Tabu“ von Jutta Voss …
brachte die Wende. Über die kulturelle Bedeutung des weiblichen Zyklus hatte Frau Voss geforscht und mit jeder Seite, die ich las, atemlos mit großen Augen und offenem Mund, fiel ein weiterer Schleier von meinen Augen. Mit jeder Seite wurde der Blick klarer und alles purzelte endlich wie von selbst an seinen richtigen Ort.
Es war ein Nachhause-Kommen. Endlich. Frauen haben Wurzeln in der Religionsgeschichte und es sind tiefe und sehr alte Wurzeln.
Ihr komplizierter Körper mit seinen schambesetzten Zyklen haben sakrale Würde, die Sexualität eine spirituelle Bedeutung, Mann und Frau sind gleichwertige und zusammengehörige Pole im Spiel der Schöpfung.
Zwanzig Jahre lang habe ich alles gelesen, was es dazu zu lesen gab und das ist erstaunlich viel. Warum entdeckte ich das erst jetzt?
Das andere lebenswendende Buch war:
„Eros und Religion“ von Walter Schubart.
Sein Geist überschwebte eines der dunkelsten Zeitalter Europas.
Er legte mit einem menschlichen und philosophischen Tiefgang, der seinesgleichen noch immer sucht, im Jahr 1942 den Finger auf eine klaffende Wunde
Weil er mir so viel bedeutet, zitiere ich den ersten Satz seines Buches:
„Das Religiöse und das Geschlechtliche sind die beiden stärksten Lebensmächte. Wer sie für ursprüngliche Widersacher hält, lehrt die ewige Zwiespältigkeit der Seele. Wer sie zu unversöhnlichen Feinden macht, zerreißt das menschliche Herz. Und es ist zerrissen worden! Wer über Religion und Erotik nachsinnt, muss den Finger an eine der schmerzlichsten Wunden legen, die in der Tiefe des Menschen blutet.“
Walter Schubert 1942
Schließlich konnte ich das Erbe meiner Ahnen doch noch erwerben, also für mich nutzen, indem ich sortieren lernte: wegwerfen, was mir geschadet hat und behalten, was mein Leben stärkt.
Ein Herantasten war es zunächst – an meine vollständiger gewordene Weiblichkeit, an meine Sinnlichkeit und eine tiefere Sexualität, an einen authentischen spirituellen Weg ohne Ideologie, an einen neuen Partner und nicht zuletzt an einen neuen Beruf, der all das vereinen sollte, was mich ausmachte.
Der rote Faden
Gleich zwei rote Fäden ziehen sich durch mein Leben und mein Handeln.
Der eine ist das Mitgefühl mit den Menschen, die ich begleitet habe und noch immer begleite.
Der andere ist der geistige und spirituelle Raum, den ich stetig erweitert habe und noch immer erweitere. Diese beiden ganz unterschiedlichen Spuren sind auch mein Antrieb als Autorin.
Frei nach Stefan Zweig „im einfachsten Leben das Shakespear’sche Drama“ herauszufiltern, lockt es mich, Geschichten über Menschen zu schreiben.
Über ihr Leben und ihr Sterben, ihre Hoffnungen und Sorgen, ihre Abstürze und ihr Suchen, über ihr Scheitern, ihre kurzen Siege und immer wieder über ihre allzu oft verborgene Liebe zum Leben und zu ihren Mitmenschen.
Ob Erzählungen oder Romane:
es sind die einfachen Menschen, die mich interessieren und es sind auch die einfachen Menschen, die ich damit berühren will.
Zu berühren und zu inspirieren, das sind meine treibenden Kräfte.
Meine Bücher
Sie handeln von den einfachen Menschen, von ihren Hoffnungen und Sorgen, ihren kurzen Siegen, ihren Hoffnungen und ihrer allzu oft verborgenen Liebe
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Mein Blog
Angeeignetes aus Philosophie, Musik, Poesie und Malerei. Texte über den alltäglichen Wahnsinn und dem Versuch, die eigene Mitte zu bewahren
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