Die hohe Kunst der Selbstliebe
Die Hohe Kunst der Selbstliebe
Eine Leserin schlug mir vor, das Wort „Masturbation“ im Rundbrief zu behandeln.
Meine Widerstände, darüber zu schreiben, sind vielfältig.
Warum eigentlich?
Erstens: Es geniert mich.
Zweitens: Das etymologische Wörterbuch gibt nicht viel her, worüber man staunen könnte.
Drittens: Die pornografische Inszenierung der Sexualität, wie sie zurzeit auf der Straße, in den Medien, in Schulen und sogar in Kindergärten propagiert wird, stößt mich ab.
Viertens: Schreibe ich als Romanautorin? Als frühere Tantramasseurin? Als Autorin des Rundbriefs WORTE WIRKEN?
Sexualität, egal ob mit sich selbst oder mit anderen, will einen geborgenen, sicheren Raum haben.
Wie also darüber reden? Und warum?
Auf das Warum könnten Etymologie und Mythologie Antwort geben:
Alle Deutungsversuche seien unsicher, sagt das etymologische Wörterbuch:
«Ma» könnte von manus, Hand kommen, turbare von verwirren, heftig bewegen, wirbeln.
Aber es könnte auch von Manu stuprare kommen, „mit der Hand entehren“.
Stuprum bedeutet Schande.
Auch die Mythologie der Bibel liefert nur Tristes:
Onan war der Sohn von Juda. Dieser wollte, dass Onan mit Tamar, der Frau seines verstorbenen Bruders, Kinder zeugte.
Onan widersetzte sich der Anordnung seines Vaters. Er schlief zwar mit seiner Schwägerin. Allerdings ließ er seinen Samen «zur Erde fallen und verderben.»
Für diese Sünde bestrafte Gott ihn mit dem Tod.
Worte wirken. Sie transportieren auch unbewusste Informationen und archetypischen Energien. Sie sind die Software unserer Seele.
Kaum jemand kennt die unappetitliche Geschichte Onans hinter dem Wort onanieren. Trotzdem befördert es auf einer tiefen Ebene eine fatale Information:
Die Todesstrafe Gottes.
Bei der Innenschau und auch im Gespräch mit einem Besuch, den ich diese Woche hier im Tessin habe, rückt vor allem dieser Aspekt ins Bewusstsein:
Bis in die Zellen durchzieht uns die Schande bei diesem Thema.
Wir sind modern im Denken, Sexualfeindlichkeit liegt im Bereich der Kindheitserinnerungen. Doch die Scham steckt bei diesem Thema tiefer als alles andere.
Schutzraum und Intimität sollten nicht verwechselt werden mit unbewusster Schande. Wie finden wir dahin, dies in unserem Alltag zu unterscheiden?
Wieso Sexualität mit sich selbst nicht als gleichwertige Sexualität sehen? Wieso nicht die Verantwortung für das eigene sexuelle Leben übernehmen? Auch in langfristigen Beziehungen.
Doch im Schatten der unbewussten Schande wird es schnell gehen müssen, so im Nebenbei, um sich heimlich abzureagieren, verschämt im wahrsten Sinn des Wortes. So wird es nie ein adäquater Ausgleich zum Sex mit einem anderen Menschen werden.
Wenn wir stuprum, (Schande) aus unseren Zellen herauswaschen wollen wie unbemerkter Schmutz aus unserer Kleidung, dann sollten wir womöglich auf diese beiden Worte verzichten:
Masturbieren (Schande)
Onanieren (Todesstrafe)
Wir könnten uns selbst feiern und die Sexualität mit uns selbst zelebrieren. Wir würden unseren Körper und unsere Lust ehren.
Wir würden die Schöpfung ehren.
Dann gäbe es wieder ein Stück mehr Schönheit auf der Welt.
Herzliche Grüße
Ihre Lea Söhner
PS: Schreiben Sie gerne in die Kommentare, welche schöne Wort-Alternativen es gäbe. Selbstliebe? Was noch?
Ich habe heute nach der Einleitung aufgehört zu lesen. Und ich erkläre ihnen auch warum.
Es nervt mich nur noch. Warum wird das ganze westliche Leben nur noch über Sexualität erklärt, identifiziert oder, eventuell sogar, lebenswert?
Was doch schon arg Mitleidenswürdig ist.
Menschen die sich nur über Sexualität identifizieren sind noch nie wirklich mit offenen Augen über diesen Planeten geschritten.
Es interessiert mich, ehrlich gesagt, einen scheiß was andere Menschen machen, solange sie mich in Ruhe lassen. Und das ob sexuell oder sonst wie. Wenn ich es wissen will, kann ich ja fragen. Aber bitte nicht immer von alleine rauspoltern.
Ob schon mal jemand seine Nachbarn, Kollegen oder vorgesetzten gefragt hat: na wie war gestern Abend dein onanieren oder mastrubieren? Das Gesicht bei der Fragestellung ist dann unbezahlbar.
Respekt ist übrigens die einfachste Art mit Menschen umzugehen.
Dazu gehört auch, nicht jedem die ihm eigene Sexualität aufs Auge zu drücken.
So zieht sich das leider immer schlimmer und weiter durchs leben.
Ich bin mal gespannt wie es so weiter geht.
Ob ich mich drauf freue? Ich kann es nicht sagen. Ich kann nur sagen das mich die Sexualität fremder Menschen nicht interessiert.
Lea, du bist eine Granate darin Worte zu entschlüsseln und Sachverhalte in die richtigen Zusammenhänge zu stellen.
Einfach super.
Danke
Hei Lea,
das war ja wieder ein sehr interessanter Artikel.
Zwar kannte ich Tamars Geschichte mit Onan, aber unter diesem Bluckwinkel sah ich sie seither nicht.
Danke für deine Gedanken-Anregungen.
Gruß
Dorothea
Ja, die Scham sitzt tief und ss ist tatsächlich gar nicht so einfach, schöne Wort-Alternativen zu finden. Ich finde den Ausdruck Solo-Sex noch ganz okay.
Spaßeshalber habe ich mal im Internet danach gesucht und da kommen dann Vorschläge wie abmelken, den Papst ärgern, in die Faust lachen, den Lachs buttern usw. usf.
Also „Selbstliebe“ bleibt einfach meine Nr. 1
Ja, du kannst Worte entschlüsseln, gut erklären, hinführen. Aber auch ja zur ersten Wortmeldung hier: vor einigen Wochen hab auch ich nicht mehr weitergehört, als hier einige ältere Damen ziemlich ungeniert der Frage nachgingen, wann sie sich selbst befriedigt haben. Das hat mich geniert. Das ist privat!! Ich mag es auch nicht wenn mir quere Menschen ungefragt ihre „Sexualität“ aufdrängen.
Liebe Karin, das kann ich absolut gut verstehen. Es stößt richtiggehend ab. Das war auch der Grund, warum ich so lange gebraucht habe, das Wort überhaupt zu nehmen für den Rundbrief.