Die Totenwäscherinnen
Immer hatte ich mich gefragt, warum ein Leichnam gewaschen wird, bevor man ihn beerdigt.
Vage hatte ich das Gefühl, es seien da Ausscheidungen im Spiel, aber tiefer darüber nachdenken mochte ich nie. Nun durfte ich es selbst erleben.
Eine der ganz wenigen Bestatterinnen in Süddeutschland, die es möglich machen, dass Angehörige selbst unter Anleitung ihre Verstorbenen herrichten können, ist Frau Märtin in Leonberg.
Dann wollte ich doch wieder absagen als es soweit war, meinen verstorbenen Mann zu waschen und einzukleiden. Was hatte ich mir da bloß eingebrockt.
Ich hatte Angst. Angst vor dem skelettartig abgemagerten Leichnam, Angst vor einem Überfall der Trauer, Angst vor dem kalten steifen Leib, Angst davor, dass ich mich ekeln würde. Doch es gab kein Entrinnen, meine Kusine Christa stand da mit dem Autoschlüssel in der Hand.
Der erste Blick auf die Liege mit dem typischen weißen Laken bis über dem Kopf, ließ mich in einen erneuten Heulkrampf ausbrechen. Frau Märtin lüpfte das Leintuch, Gerhards elend lange Pinocchio-Nase war durch das Tuch auf die Seite geknickt, sonst hätte man denken können, er schliefe. In den zwei Tagen Krankenhaus hatte er viel Wasser eingelagert, weil die Nieren kaum noch gearbeitet hatten. Bei ihm sah das fast gut aus. Beherzt richtete Frau Märtin seine Nase auf. Irgendwann überwand ich mich, seinen eiskalten Körper anzufassen.
Ich bekam ein weiches Papiertuch, getränkt mit warmem Wasser und fein riechendem Schaumbad. Wir taten nichts anderes, als ihn behutsam damit abzuwaschen. Wie bei einer Massage war dies eine rituelle Waschung, kein Reinigen. Ich durfte selbst das Gesicht waschen und eine überraschende Zärtlichkeit durchflutete mich. Er sah schön aus. Friedlich. Abschied nehmen von diesem vertrauten Körper. Noch einmal alles genau anschauen. Dieses markante Gesicht, diese eleganten Hände. So arbeiteten wir uns parallel an beiden Seiten den Körper entlang.
Frau Märtin sprach dazu sanft und bestimmt, wie wunderbar und wichtig diese Arbeit sei, und dass der Verstorbene auf eine Art mitbekäme, was mit ihm geschieht, dass man behutsam mit ihm umzugehen hätte, und dass die Seele noch immer nicht gänzlich den Körper verlassen hätte, sondern da sei, bei uns.
In mir wurde es von Minute zu Minute ruhiger. Nach und nach erfüllte mich tiefer Friede, fast ein Glücksgefühl.
Danach wurde er eingeölt. Gesalbt, könnte man im religiösen Sinn sagen und so habe ich es auch empfunden. Mit großem Respekt, aber auch einem gewissen Frohmut, wurde ich immer beherzter. Massagegriffe, die mir vor Jahren in Fleisch und Blut übergangen sind, waren wieder da. Die Arme, die Hände, die einzelnen Finger konnte ich mit sattem, sicheren Griff einölen.
Jetzt die Kleider. Ich hatte das beige Hemd und die rostfarbene Sommerhose mitgebracht, die er so gerne getragen hatte. Dazu die dunkle Strickweste. Seine unvermeidliche Schirmmütze hatten wir zum Bedauern der Bestatterin zuhause gelassen.
Dann kam ein Mitarbeiter und Gerhards Leichnam wurde in den Sarg gebettet.
Oh Schreck! Er war zu lang. Mit welcher Zartheit und Bewusstheit es die Bestatterin und ihr Mitarbeiter geschafft haben, ihn trotzdem gut zu betten, ohne dass der obere Sargdeckel seinen Kopf drückte, wird mir unvergesslich bleiben.
Dann durfte ich in einem eigens dafür schön eingerichteten Raum noch allein bei ihm sitzen und mich endgültig verabschieden. Ich legte ihm noch einen Liebesbrief aufs Herz unter sein gutes Hemd.
In mir war nur noch Frieden und Ruhe. Keine Tränen. Liebe.
Jetzt habe ich es kapiert: das Waschen des Leichnams ist ein uraltes Ritual in allen Kulturen und es dient zutiefst den Angehörigen, sich in Liebe zu verabschieden. Auch den Toten dient es. Alles war ganz unspektakulär. Doch bin ich sicher, nein ich weiß es, Gerhard war anwesend. Er selbst konnte noch ein Stück weiter in Frieden seinen Körper verlassen.
Und für mich war es Heilung. Ein kostbarer Beginn des Trauerprozesses, den ich nun viel bewusster annehmen kann und auskosten will.
Wie schön, ich danke dir!
Herzlichen Dank fürs Teilhaben lassen an Deiner Erfahrung liebe Lea.
Tief im Herzen berührt.
Liebe Frau Söhner, wie getröstet Sie sich fühlen, lässt Ihr
Bericht nachempfinden. Wie gut, dass Sie den Mut hatten!
Eine Erfahrung von unschätzbarem Wert für Ihr weiteres
Leben. Seien Sie gegrüßt!
Vielen Dank – sehr ergreifend – im tiefwahrsten Sinne des Wortes! Ich habe es auf Facebook geteilt (Cooker Elb)
Danke für das Teilen dieses nahen Erlebnisses. Ich wusste nicht, dass es in meiner Umgebung möglich ist.
Danke. Mehr kann ich nicht schreiben. Danke.
ich war über 22 jahre Krankenschwester und habe das oft erlebt .. bei meiner eigenen mutter konnte ich es nicht .. danke fürs teilen da lag ganz viel drin für mich und alles gute uns allen
Danke vielmals! Wenn man sich so nah steht. Sehr ergreifend. Sehr berührend. Sehr schön.
Die Welt, die Verstorbenen und die Lebenden können
Die Welt, die Verstorbenen und die Lebenden können sich Frauen wie dich nur wünschen! Danke für`s Teilen!
Welch wunderbare Erfahrung. Danke herzlichst für dein Schreiben.
Herzlichen Dank für das teilen dieser sehr bewegenden Erfahrung …sehr ergreifend und schön…danke fürs teilhaben lassen und alles gute ❤️
Danke
„Mögen diese tiefe Erfahrungen für Dich zu einer Brücke werden – zu einer Brücken zwischen Dir hier und Gerhard dort in der Welt hinter der Welt.“
„Mögen diese tiefe Erfahrungen für Dich zu einer Brücke werden – zu einer Brücken zwischen Dir hier und Gerhard dort in der Welt hinter der Welt.“
Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für Ihre Worte. Es gibt mir Mut diese Erfahrung zu machen wenn es ansteht. Ich wußte nicht das es möglich ist! Ihnen alles Liebe und Gute !
ein schlichtes großes Danke
„ES“ hat mich sehr berührt, lieben Dank für das Teilen.
Sehr sehr schön
und einfühlsam
geschrieben.
Genau diese Zeremonie wird in dem wunderschönen Film „Nokan – die Kunst des Ausklangs“ beschrieben.
Ich habe meinem Mann zum Abschied auf den
Mund geküßt und ihm Mut gemacht , loszulassen
Habe ihn gestreichelt. Es kam so unerwartet.
Der Schock saß so tief. Hätte ich besser nachgedacht
wäre ich so gerne dabei gewesen und hätte ihn
gewaschen. Dieses Ritual sollte man wieder ein-
führen. Danke für diesen Bericht.
Ihr Bericht hat mich zu tiefst berührt. Vielen Dank dass Sie uns teilhaben lassen an Ihren Erfahrungen.
Wunderbar! So gut das Sie das erleben durften. So kann ma
Dieser Bericht hat mich zutiefst berührt.. soviel zärtlich Liebe war zu spüren.. ganz liebenDank für das Teilen
Bei meiner Mutti hielt ich die Totenwache.Ich werde dieses Gefühl nie vergessen, es war voller Liebe ,Verbundenheit und Frieden.
Mich hat ihr Bericht auch sehr bewegt. Es ist gut, dass die „alten“ Rituale wieder mehr ins Bewusstsein kommt. Danke