Freude schöner Götterfunken
Von der Diakonin zur Tantramasseurin – wie habe ich diesen Bruch erlebt? So lautet eine der häufig an mich gerichteten Fragen. Nun, für mich war es kein Bruch.
Eher eine Art logischer Folge.
Den Riss allerdings gibt es seit ich denken kann: der Riss zwischen meiner eigenen Seins-Wahrheit
und dem christlichen Überbau. Das ging noch nie glatt ineinander. Dieser Riss hatte immer Schmerz verursacht, auch in den Lebensabschnitten, in denen ich versucht habe, ihn zu übertünchen.
Das war während meiner Zeit als Diakonin.
Wo kommt man an, wenn man nach und nach alles Unechte abstreift? Wem kann man nicht ausweichen, wenn man in die Stille geht und in die Tiefe? Der Sexualität und dem Tod. Ohne bereit zu sein, die Frage der Sexualität zu durchdringen und ohne sich dem nackten Faktum Tod zu stellen, ist authentische Religion nicht zu haben.
Der Beruf der Tantramasseurin ist ein zutiefst ethischer und ästhetischer Beruf.
Ethisch deshalb, weil wir ständig gefordert waren und immer noch sind, uns mit unseren eigenen Haltungen und unserem „Geworden-Sein“ auseinander zu setzen. Heimliche Ressentiments bei uns selbst aufspüren, uns mit unserer weiblichen Quelle verbinden, unsere sexuelle und religiöse Biografie aufarbeiten, unser Verhältnis zum Männlichen und zum Weiblichen untersuchen – das ist die Arbeit, die wir an uns selbst machen.
Ästhetisch deshalb, weil echte Schönheit entsteht. Das sind diese manchmal kurzen Momente, wo durch die Massage des Körpers etwas zusammenkommt in der Seele. Etwas, was unnatürlich auseinander gerissen worden war:
Es ist das Empfinden der eigenen Göttlichkeit in der Leiblichkeit, in der Lust.
Wir Tantramasseurinnen sehen uns in der Tradition der Schiller’schen Töchter aus Elysium.
(Das ist der Text, auf den Beethoven seine Neunte Symphonie komponiert hat und der nun als
Europa-Hymne herhalten muss) :
… deine Zauber binden wieder, was die Mode streng geteilt… Der Zauber unserer Berührung möge zusammenführen, was durch die Mode der patriarchalen Spaltungswut auseinander gerissen war.
Nämlich: Eros, Körperlichkeit und Religion.
Ab und zu ist uns das geglückt. Dann hat man im Auge der Klientin oder des Klienten für einen Moment ein inneres Strahlen gesehen. Der Funke im Blick – Götterfunke.
… alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt…
In diesem einen Augenblick der inneren Verbundenheit war Friede. Mehr konnten und mehr können wir nicht tun.
Nachtrag:
Elysium: Die Eleusinischen Mysterien hatten sich im antiken Griechenland als Überreste einer vorherigen Göttinnenkultur halten können.
Durch viele Schichten hindurch hat die Epoche der Deutschen Romantik (Schiller, Goethe, Hölderlin u.a.) das schimmern lassen, was in Indien „Tantra“ genannt wird.
Man muss genau hinschauen, um es zu erkennen. Die Essenz ist überall dieselbe: die weiblichen und männlichen Kräfte sind balanciert und Sexualität, Tod und Spiritualität sind nicht zu trennen. Tantra.
Liebe Lea, ich lassemich immer wieder gerne inspirieren durch Deine Texte. Für mich gehören Geburt, orgiastische Empfindungsfähigkeit und Tod zusammen, das sind die Momente, wo sich ein Spalt zum universellen Bewusstsein und der Schöpferkraft öffnet, ein Licht aufleuchtet, ein Zusammenziehen und wieder Ausdehnen, der grosse Erd-Atem sich zeigt. Spiritualität ist uns natürlich eigen, Religion von den Menschen gemacht.
Liebe Lea
Danke. Wie immer ist auch dieser Blog einfach genial, so treffend formuliert, so wahr. Ich freue mich schon auf den nächsten Beitrag von dir.
Herzlich und dankbar
Ines Maria