WORTE WIRKEN: Eine Frage der Ehre
Zurzeit wohne ich für drei Wochen in meinem leerstehenden Elternhaus.
Ich war lange Zeit nicht hier und besuche jetzt täglich für ein paar Stunden meine Mutter im Pflegeheim oder unternehme etwas mit ihr.
So weit so gut.
Eigentlich ist alles richtig so.
Doch ich bin sehr erschöpft.
Schon lange wollte ich einen Rundbrief schreiben zum Wort „Ehre“.
„Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren …“ Wir alle kennen das vierte Gebot.
Der Begriff hat seit der Nazi-Zeit in Deutschland eine lange Abwärtskarriere erlebt.
Demgegenüber kommen jetzt viele muslimische Familien ins Land, die genau diesem Wort eine teilweise tödliche Bedeutung verleihen, wenn junge Frauen auf ihr Recht am eigenen Körper pochen.
Es lohnt sich, den seltsamen Begriff der Ehre wieder aufzugreifen und ihn uns anzueignen.
Aber wie?
Ehre ist ähnlich der Würde. Vielleicht ein Synonym.
Zu Beginn ging es bei den Zehn Geboten um die Einführung einer neuen patriarchalen Familienhierarchie. Der Respekt vor dem Vater als familiärer Gesetzgeber sollte eingefordert werden.
Bei der heutigen gut kirchlichen Auslegung des Vierten Gebots spricht man von Fürsorge für die Eltern.
Nun gut, heute gibt es Altenheime. Die Fürsorge ist gewährleistet. Damit könnte der „Kittel geflickt“ sein in Bezug auf Ehre.
Ich bin erschöpft, weil ich mich schwer abgrenzen kann von dem mütterlichen Gefühl, abgeschoben worden zu sein.
Dass sie ihre letzten Schritte im Heim gehen muss, empfindet unsere Mutter als Schmach, also als das Gegenteil von Ehre.
Ich verstehe sie, und gleichzeitig ärgere ich mich darüber.
Denn sie ist in einem guten Heim und bekommt fast täglich von uns Besuch oder wird abgeholt zu einer Unternehmung.
Wie kann ich mich abgrenzen von ihrem Leiden?
Nicht, dass ich mich den Zehn Geboten verpflichtet fühle. Davon bin ich weit weg.
Ich mache mir einfach nur Gedanken und frage mich, wo die Erschöpfung herkommt und der Wunsch, wieder in mein eigenes Leben zurückzukehren.
Gott macht im Vierten Gebot sogar noch ein Versprechen. Es gibt eine Belohnung: Ehre deine Eltern, dann wirst auch du lang leben.
Will ich das überhaupt? Leben um jeden Preis?
Bin ich erschöpft, weil das Alter auch für mich nicht mehr weit weg ist?
Wie werde ich meine letzten Schritte gehen?
Wenn man lange und viel im Altenheim ist, wie ich zurzeit, kommt automatisch – wenn man ehrlich mit sich ist – der Frage des „lebenswerten Lebens“ auf.
Man lässt diesen Gedanken schnell wieder fallen und erschrickt über sich selbst.
Meine Schwiegermutter wollte die Pflegephase nicht erleben und hat den Freitod bei Dignitas gewählt.
Für sie war genau diese Art von Tod eine Frage der Ehre.
Allerdings rührte bei ihr die Bedeutung der Ehre noch vom Nationalsozialismus her. Auch wenn sie sich im Laufe ihres Lebens sehr bewusst und tiefgründig mit ihrer früheren Gesinnung auseinandergesetzt hat.
Die wechselvolle Geschichte meine Schwiegermutter erzähle ich in meinem Buch „Die Vögel singen weiter“.
Liebe Lea,
ich habe meinen Vater bis zu seinem Tod betreut. Auch er war in einem Heim. Früher hießen diese Heime „Siechheime“. Trotzdem das Heim sehr fürsorglich und vorbildlich geführt wurde, bleibt es ein Warten auf den Tod ohne sinnerfüllende Inhalte mit manch schönen Augenblicken, die aber nie darüber hinwegtrösten können an Wert zu verlieren. Für mich war diese Zeit sehr belastend und ich habe mit meinem Vater mitgelitten, in der Hoffnung, dass es bald ein Ende hat. Das Wort „siechen“ ist hart, trifft es aber letztendlich doch. Dir viel Kraft und Energie!
Lieber Andreas, herzlichen Dank für deinen Kommentar. Ich bin froh, dass andere diese Zeit, in der die Eltern gehen, auch als belastend und herausfordernd finden. LG von Lea
Liebe Lea, ich kann das alles gut nachempfinden. Wie du weißt, habe ich lange für meine Mutter gesorgt . Durch die günstige Wohnsituation konnte sie zuhause bleiben bis drei Tage vor ihrem Tod. Manchmal war ich sehr hin-und hergerissen zwischen aufopfern und dem Gefühl, dass das jetzt meine Aufgabe ist. Vieles habe ich abgegeben, z.B. die Körperpflege; dafür kamen die Pflegenden von der Diakonie. Mich abzugrenzen von ihrem Leiden ist mir auch sehr schwer gefallen, sie hat mir oft leid getan, wenn es ihr körperlich oder seelisch schlecht ging.
Ab und zu musste meine Mutter in die Kurzzeitpflege, diese Zeit fand ich irgendwann anstrengender als die Zeit, wenn sie zuhause war. In der Kurzeitpflege musste/ wollte ich sie täglich besuchen, da die Versorgung teilweise schlecht war,( z.B. falsche oder keine Medikamentengabe)und sie sich dort sehr einsam gefühlt hat. Sie konnte zu dem Zeitpunkt nicht mehr laufen und war fast blind.
Zuhause lief das alles irgendwie nebenher: Mehrmals bin ich zu ihr runtergegangen und habe etwas erledigt: Geschirr abgeräumt, Essen gebracht. Das war immer schnell erledigt und ich musste nicht so viel Zeit wie für einen Besuch einplanen.
Wünsche dir viel Kraft und wenn du mal Besuchsbegleitung möchtest, melde dich.
Liebe Grüße Marlene
Liebe Lea,
du sollst Vater und Mutter ehren………..
Als ich dieses Gebot kapiert hatte, war das für mich wie eine Erlösung, mir ist eine Last abgefallen.
Ich muss sie nicht lieben, (was mich immer gequält hatte) nur ehren, das reicht aus.
Wie sich das gestaltet ist eine andere Frage.
Viele Grüße von
Sieglinde
Liebe Sieglinde, herzlichen Dank für deinen Kommentar! LG von Lea