Ich verwerfe im Lande die Kriege*

Die Schmetterlinge sind wieder gekommen. Schon früher haben sie für ihn getanzt. Wärme umhüllt ihn, füllt ihn aus, schwerelos wird er, wie die beiden Pfauenaugen, die in den Sonnenstrahlen flattern. Ihr zärtlich-luftiger Liebesreigen scheint ihm zu gelten, was flüstern sie ihm zu, diese beiden? Erinnere dich noch einmal, dann flieg mit uns.

Auch Vögel hatte er geliebt, sie sangen für ihn und die Blumen verschenkten sich mit ihrem Duft
und ihrer Schönheit.


Wie er die Arbeit mochte,
allein in den Weinbergen, diese Stille, in die er eintauchen konnte wie in eine andere Welt, das Knacksen der abgeschnittenen Reben, Vogelgezwitscher, der trunkene Flug der Hummeln durch die kristallblaue Luft,  Mückengesumme, sein eigenes Liedchen auf den Lippen und immer wieder Schmetterlinge in ihren tausend Farben. Alles vibrierte vor Leben und vor Freude.

Die Mutter erscheint ihm, groß und stark. Wie gerne hatte er mit ihr zusammen im Krautgarten
gearbeitet, auch dort Schmetterlinge, nicht alle hatte die Mutter gemocht, die Kohlweißlinge, deren Raupen am Kohl gefressen hatten, konnte die Mutter nicht leiden.
Er aber, liebte alles, was da so luftig und leicht herum flatterte. Fliegen sollte man können.

Als er noch Kind war, hat ihm seine Mutter oft das innerste Herz des Kopfsalats zum Essen gegeben.Er hat es genossen weil die Mutter es ihm gab, diesen feinen, leicht bitteren Geschmack, frisch und durchwärmt von der Sonne.

Wie die Sommerwärme lag auch ihr Blick auf ihm, mit Wohlbehagen biss er in die zarten hellgelben Herzblätter, manchmal strich sie ihm über seinen blonden Haarschopf, nur beiläufig, ein bisschen geniert, bevor sie sich rasch dem nächsten Arbeitsschritt zuwandte.


Vater hatte ihn und den jüngeren Bruder
sonntags mit in den Wald genommen. Er lehrte ihnen, wie man die Vögel am Gesang unterscheiden kann und die Bäume an den Blättern, dann bei Sonnenuntergang die fliehenden Rehe und  – horch das Käuzchen!

Fanny der schwere Ackergaul, Liebling des großen Bruders. Gotthilf kennt sich so gut aus mit
allen neuen Maschinen.

Eine Sämaschine wollte er anschaffen, vielleicht bald einen eigenen Traktor, das würde viel Arbeit ersparen und Fanny könnte faulenzen, der Vater hatte gelacht, moderne Zeiten kommen.

Als Paradies erscheint ihm die Kindheit jetzt, wo die Erinnerungen zart und hell durchscheinen wie die Sonne durch die Gräser.

Da kommt der Schmerz wieder, jetzt reißt er ihn in Stücke, seine Hand ist nass vom Blut, keine Kraft mehr, das Loch im Bauch zusammen zu halten.

So war sein Leben zerrissen worden vom Stellungsbefehl, erwartet und gefürchtet, er hatte es gewusst in dem Moment, er hatte gewusst, er würde nicht mehr heimkommen und er sagte es seinem jüngeren Bruder als er das Fahrrad in den Hof schob, ich komm nicht mehr heim, mit Augen voller Angst hatte der ihn angesehen.

Schweigend wurde das Rauchfleisch aufgeschnitten und das Brot, das gute Weißbrot, von Mutter gebacken, das es in den Kriegszeiten nur selten gab. Jetzt bekam er es als Vesperbrot mit auf seinen Weg in den Krieg.

Schweigend verabschiedeten sie sich, die Augen der Mutter sorgenvoll, sie sollte nicht sehen, dass er wusste, sie wollte es auch nicht sehen, und er verbarg seinen Blick vor ihr. Gemeinsam beteten sie das Vater-Unser, die Eltern, die Schwestern, der kleine Bruder. Gotthilf, der Älteste war schon in Russland, an ihn dachte man jetzt auch.

Er wusste, sie stehen unter dem Hoftor und schauen ihm wortlos nach, nicht umschauen, sonst kann er die Tränen nicht mehr halten. Ein Schritt um die Ecke und sie würden ihn nicht mehr sehen.

Es war, als hätte man einen Keil in sein Leben getrieben, wie in ein Holzscheit, das man spaltete.

 

Was folgte, war Schwärze, Härte, Kälte, Tod, Tod, Tod. Hass, das war es, was er nicht herzustellen vermochte, schieß, hieß es, er konnte nicht, obwohl er es doch soeben gelernt hatte, schieß, schieß, da waren die Augen ihm gegenüber, Panik, Verzweiflung, Stolz, das Erstaunen im Blick des dunkelhaarigen Kindes, schieß, schieß endlich, du Idiot, schrie es in sein Ohr, er schoss,  Lachen, böses Lachen, na also, geht doch, die Menschen, die umfielen, hinein sackten in ihr Blut, Dunkelheit, schwarzes Eis, die Schmetterlinge waren längst geflohen, auch die Sonne und der Wind.

Doch schon hatte sich alles gewendet, der Feind rückte näher, Kameraden neben ihm fielen in den Dreck, aufspritzende Gehirne, splitternde Knochen, abgeschossene Hände, immer leichter fiel ihm das Töten, der Hass hatte sich endlich eingestellt und wuchs mit jedem zerfetzten Kameraden, wie ein schwarzes Ungeheuer beflügelte er ihn, überrauschte seine Taubheit, den Russenschweinen wird ich’s zeigen, sportlich fühlte er sich, dann endlich: er wurde getroffen.

Der Schmerz zerriss seinen Leib, aber zerrissen war schon vorher alles andere in ihm, nur noch Schmerz war da und Schreien, Dreck, Schlamm, Blut.

Die Bucheckern treiben schon aus, eine Buche ist es also, unter der ihn seine Kameraden liegen haben lassen, das schmerzende Tier in ihm beruhigt sich, bald müsste sein Geburtstag sein, siebzehn Jahre wäre er geworden und seine Mutter wird schweigend weinen.

Seine Mutter wird ihn nicht wiedersehen, ihren Schmerz fühlt er jetzt, diesen alles zerreißenden Schmerz in seinen aufgesprengten Gedärmen, den Schmerz, der den Vater niederhämmert, bis sein Rücken krumm ist und er nicht mehr gerade stehen kann, denn auch der ältere Bruder wird nicht mehr kommen, er weiß es jetzt in diesem Moment, die silbrige Luft sagt es ihm, sie lässt ihn noch einmal atmen, noch nie hatte er ein Mädchen gehabt, wieso fällt ihm das gerade ein, sind es die beiden Schmetterlinge, die ihn ans Leben erinnern?

Das Frühjahr, so schön, wie die zarten Blätter glitzern, alles ist leicht auf einmal, hell ist der Himmel jetzt und groß, wie ein Vogelflug in die Sonne hinein.

***

Nachtrag:
diese Geschichte gehört zur Hintergrundmusik meines Lebens: die unverarbeitete Trauer meines Vaters um seine beiden Brüder.

Nie hätte ich mir vorstellen können, dass zu meinen Lebzeiten der Krieg wieder salonfähig wird.

Ich habe mich getäuscht.

Mein Bemühen, die Augen  vor der Realität zu verschliessen, wird immer anstrengender.

Deshalb möchte ich auf die Sonderausgabe der Zeitung Rubikon aufmerksam machen. Und es wäre schön, wenn die fundierten Texte von Rubikon massenweise Verbreitung fänden:

Die ideologische Mobilmachung.

* der Titel dieses Artikels gehört einem Buch von Gerda Weiler. „Ich verwerfe im Lande die Kriege – das vervorgene Matriarchat im Alten Testament“

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