Alleine weitergegangen

Wie ein Blatt vom Baume fällt, so fällt ein Mensch aus seiner Welt. Die Vögel singen weiter. (Matthias Claudius)
„Genau so ist Gerhard – jetzt zu Herbstbeginn – aus seinem Leben gegangen: leise…still…fast unbemerkt…ließ er sich fallen. Und in diesem Ablösen und Fallen brachte er die schönsten und wundervollsten Farben seines Wesens zum Ausdruck: Liebe und Grosszügigkeit.“ 
Das hat meine Schwester Johanna geschrieben.

Mir gehen ganz andere Gedanken durch den Kopf, wenn ich allein durch unsere gemeinsame Wohnung gehe:

Der Türgriff im Bad ist schon wieder locker. Wer soll das jetzt reparieren? Und wo ist überhaupt der Imbusschlüssel?

Wer sagt halihalo wenn ich zur Tür rein komme und wer begrüßt mich manchmal mit weit aufgerissenen Armen?

Wer trägt den Müll runter und wer mangelt meine Bettwäsche?

Wer hilft mir, meine Sachen raufzutragen, wenn ich Freitag Abends spät aus der Schweiz komme?

Wem kann ich jetzt meine Sorgen und verborgenen Ängste anvertrauen?

Und wer schimpft mit mir, wenn ich mein Zeug rumliegen lasse? Aber das eine will ich dir sagen, diese blöde getöpferte Schüssel kommt ab sofort in die Spülmaschine, jetzt bestimme ich. Scheiße. Heulen.

Wer legt mir den Arm um die Schulter und sagt, dass alles gut wird? Wen wecke ich sanft aus dem Mittagsschlaf mit meinem Ruf „Coffee-Time“?

Wer nervt mich mit immer neuen bescheuerten Ideen und wer hört mir zu, wenn ich wieder mal viel erlebt habe?

Mit wem kann ich einfach in Stille sitzen und Ruhe einkehren lassen?

Wer leiht mir seinen gesunden Menschenverstand, wenn mein Blick unscharf wird?

Und wer bitteschön wechselt jetzt die Batterien vom Milchschäumer? Wie leert man überhaupt den beutelfreien Staubsauger, den du vor drei Monaten gekauft hast, das habe ich noch nie gemacht.

Und zu wem kann ich sagen: „gemeinsam sind wir unausstehlich“?

Und wer soll in Zukunft überhaupt meine Gedanken lesen?

Mensch Cordes, du Idiot. Ich wusste nicht, dass Vermissen so weh tut.

4 Kommentare

  1. Hansi Schlegel 1. Oktober 2017 at 12:45 - Antwort

    Ich glaube dass JEDE/R, die/er eine geliebten Menschen verloren hat, von diesen Zeilen berührt ist…

    Mein Herz hat jedenfalls „verstanden“ <3

  2. Ulrike 8. Oktober 2017 at 7:12 - Antwort

    Genauso wird es sein….oder ich bin die erste, die geht…die Mischung aus großen und ganz kleinen Dingen rührt an…und beschreiben die Lücke. Diese wird riesengroß sein.

  3. Cornelia Blume 15. Oktober 2017 at 11:14 - Antwort

    Mein Mann Burkhard ist vor zehn Jahren gegangen. Ich habe es genau so erlebt. Es ist immer wohl beides: Der Blick der Seele auf die gegangene und die Herausforderungen, die das „Weitergehen alleine“ an mich stellt. Danke.

  4. Elisabeth Müller 30. Oktober 2017 at 10:21 - Antwort

    In nahezu jedem Wort hab ich mich wiedergefunden . Es sind die kleinen, ganz banalen Dinge die ich nsch dreiHshen und vier Monaten oft noch vermisse…gestern beim Spaziergang die Erkenntmiss „sch….e“, schon wieder kein Taschentuch dabei
    Sowas ist Ernst nie passiert….
    So viele Kleinigkeiten die fehlen
    Obwohl…es geht mir mittlerweile gut.
    Und doch gibt es die immer wieder mal diese Trauer die mich anspringt wie ein wildes Tierr…ohne Vorwarnung, oftmals in einen ganz besonders schönen Moment…plötzlich ist es da
    Ich habe gelernt es anzunehmen und auch zuzulassen. Ich versuche sie nicht zu unterdrücken
    Sie gehören dazu zum Leben
    Trotzdem ist dass Leben schön ❤️

Hinterlasse einen Kommentar