WORTE WIRKEN: Nächte der Stille

Stille

Nächte der Stille  – Erinnerungen an Israel

Anfang der achtziger Jahre lebte ich ein Jahr in Israel.

Teilweise arbeitete ich in einem Kibbuz, lebte aber auch mehrere Monate auf palästinensischem Gebiet in einem orthodoxen Kloster.

Meine damaligen Kibbuz-Eltern waren Abraham und Lea, ein älteres Ehepaar, aus Deutschland stammend.

Nie werde ich die langen Abende mit Lea, einer rundlichen, herzensguten älteren Dame vergessen.

Als junges deutsches Mädchen fühlte ich mich sehr geehrt, ihre leidvollen Erfahrungen aus erster Hand erzählt zu bekommen. Wir sprachen englisch, obwohl ihre Muttersprache deutsch war und manchmal saßen wir lange still da.

Jahre später brauchte ich aus einem speziellen Anlass einen Künstlernamen. Im Andenken und in Respekt für Lea in Israel habe ich mich so genannt und es trage den Namen bis heute gerne. Zu der Zeit war Lea noch längst kein Modename.

Ich persönlich fühle mich sehr verbunden mit Israel und werde keine eindeutige Stellungnahme zu diesem uralten Brandherd abgeben. Wir alle wissen, dass noch andere Elemente ihr schmutziges Süppchen darauf kochen.

Seit Jahrtausenden flehen die Menschen bei ihren Göttern um Frieden auf Erden.

Durch die Weihnachtsbotschaft – so wird uns vermittelt – soll Frieden auf Erden kommen. Und sogar den Menschen ein Wohlgefallen.

Bisher war uns das noch nicht dauerhaft vergönnt.

Das Weihnachtsversprechen heißt nicht: Frieden im Herzen, sondern Frieden auf Erden!

Nach über sechzig Jahren christlicher Prägung habe ich diesen Satz noch immer nicht verstanden und in diesem Jahr kommt er mir fast wie ein grausamer Scherz vor.

Wir seien selbst zuständig für den Frieden, sagte man uns. Solange in unserem Herzen Hader und Zorn sei, gäbe es im Außen eben Krieg.

An diese Lesart habe ich lange geglaubt. Inzwischen sehe ich es anders:

Ich konnte mit meinem Mann zum Beispiel trefflich streiten.

Aber niemals, wirklich niemals wäre ich auf die Idee gekommen, ein Sturmgewehr zu nehmen und ihn zu erschießen.

Normale Menschen wollen keinen Krieg. Wir alle werden propagandistisch darauf vorbereitet. In Deutschland kann man eine solche Vorbereitung zurzeit live miterleben.

Es sind ein paar gewaltbereite Kreaturen, die den Krieg planen, anzetteln, finanzieren, durchziehen und dieselben Kreaturen profitieren nachher vom Aufbau. Nennen Sie mich von mir aus Verschwörungstheoretikerin.

Nicht die Politiker, sondern die normalen Menschen arbeiten für den Frieden und setzen sich für Völkerverständigung ein.

Die Barenboim-Said-Akademie sei hier genannt.

Der Dirigent und Pianist Daniel Barenboim gründete mit seinem Freund Edward Said 1999 das West-Eastern Divan Orchestra. 

Es ging darum, junge arabische und israelische Musikerinnen und Musiker zusammenzubringen. Daraus wurde im Jahr 2015 die Akademie.

Bei aller Kriegstreiberei sollten wir uns die Freude an Weihnachten, an der Musik und allen anderen guten Dingen nicht vergällen lassen.

Wie schon letztes Jahr will ich Ihnen zu Weihnachten zwei gänzlich unterschiedliche Musikstücke anbieten. Ich glaube fest daran, dass Musik Schwingungen des Friedens in die Welt sendet.

Zum Ersten:

Wer nur drei Minuten Zeit hat, sollte unbedingt den dreizehnjährigen Uziya Tsadok bei einer israelischen Talentshow auf sich wirken lassen.

Die Übersetzung dieses uralten jüdischen Liedes Shma Israel finden Sie ein Stückchen weiter unten.

Zum Zweiten: 

Wer eine Stunde Zeit hat: Beethovens Neunte ist keine spezielle Weihnachtsmusik, doch als Ode an die Freude verbreitet sie durchaus wuchtige, weihnachtliche Freudenstimmung.

Gespielt vom oben genannten West-Eastern-Divan-Orchester unter der Leitung von Daniel Barenboim, wäre dies ein wahrlicher Weihnachtsgenuss.

Und hier der Text zum obigen Lied

Shma Israel, Höre Israel

wenn das Herz weint, dann hört nur Gott zu,

der Schmerz steigt aus der Seele auf.

Höre Israel,

in meinen Augen stehen Tränen,

das Herz weint in der Stille

und wenn das Herz schweigt,

schreit die Seele.

Shma Israel,

du bist mein Gott, der Allmächtige

ich bin nun ganz allein.

Der Schmerz ist groß und es gibt nirgendwo,

wohin man gehen kann.

Höre Israel,

du bist mein Gott, der Allmächtige.

Der Mensch fällt, bevor er untergeht,

mit einem Gebet zerschneidet er die Stille.

Höre Israel,

du bist mein Gott, der Allmächtige,

zu dir schreit der Mensch,

wenn er am Abgrund steht.

Shma Israel

adonai elohenu adonai echad

Musik kommt aus der Stille und nicht umsonst heißt es Stille Nacht, Heilige Nacht.

Ich wünsche Ihnen Tage der Einkehr und der Freude

Herzlichst

Ihre Lea Söhner

Bildnachweis: Israel heute

2 Kommentare

  1. Ernst-Dietrich Egerer 21. Dezember 2024 at 19:38 - Antwort

    Liebe Frau Söhner,
    Danke für den aktuellen Text – und die musikalischen Zugaben.
    Weil das mit der Kommentierung darunter irgendwie nicht klappt, hier meine Gedanken.
    Ich bin aufgewühlt:
    Was Sie zum „Frieden auf Erden“ schreiben, will zu einer begründeten Antwort finden und doch fehlen mir Worte und Argumente. Es erscheint angesichts der Realitäten so wider-sinnig. Aber wo kommen wir als Welt hin , wenn uns auch die letzten Verheißungen verlorengehen? Für mich stimmt übrigens beides: Das vom Frieden innen, der immuner gegen Kriegsphantasien im Außen
    macht,(die aktuelle geistig-moralische Aufrüstung auch in unserem Land, nicht nur sprachlich, hat als Nährboden eben die verheißungsfreie Unzufriedenheit unserer Zeitgenoss:innen. ich bin mit Ihnen einig: Wir wollen eigentlich keinen Krieg. Nicht erst das Buch „Im Grunde gut“ hat mir die Augen dafürgeöffnet, dass Krieg nicht in die wirkliche menschliche DNA gehört.
    Dann die Musikstücke:
    Welcher Mut und Segen durch die Barenboim-Said Stiftung!
    Der Gesang des Jungen ist stimmlich, emotional und vom Inhalt des Textes her eine Wucht. Aber spätestens, wenn ich die orthodoxe Prägung seiner Angehörigen sehe, frage ich mich: Sind das auch Siedler, die in der Westbank zu Verbrechern werden und grausig wüten?
    Etliche Kommentare unter dem Video sind grausig: Die einseitige Verherrlichung Israels und ‚seines‘ Gottes macht mich sprach- und fassungslos. Da entdecke ich nichts vom Miteinander im geteilten Schmerz und allen Traumata auf beiden (!)I Seiten.
    Was richtet ‚ das auserwählte Volk‘ in Gestalt seiner aktuellen Regierung in Nahost an. Singt der Junge auch im Gedenken der palästinensischen Seite? Ich weiß es nicht und die Kommentare blenden diese Perspektive völlig aus.
    Ich wünschen Ihnen Lichtvolles und bin dankbar über unseren Kontakt, den mir dieses Jahr auch beschert hat.
    Pace e bene – wie die Franziskaner wohl grüßen und wovon ich in diesen Tagen reichlich austeile
    Ernst-Dietrich Egerer

  2. Maria 22. Dezember 2024 at 9:50 - Antwort

    Ich glaube schon an den Frieden in uns, es macht einen Unterschied, ist meine Erfahrung in den letzten Monaten meines Privatlebens und doch verstehe ich auch deine Gedanken und Gefühle. In mir ist beides.

    „Opa, kann ich dich fragen, warum ich dich jeden Nachmittag auf dieser Bank auf dem Platz sitzen sehe und du in Richtung Sonne lächelst?“ Der alte Mann senkte langsam den Kopf, hielt kurz inne, sah ihn mit großer Zärtlichkeit an und antwortete mit großem Frieden: „Ich stricke“. Der Junge lächelte. „Wie strickt man ohne Wolle und Nadeln Großvater?“ „Ich stricke Realitäten“, sagte der alte Mann.
    ✨️💖✨️💖✨️💖✨️💖✨️
    „Es mag so aussehen, als würde ich hier nichts tun“, fuhr er fort, „aber indem ich ruhig bleibe, lasse ich mein Herz eine harmonische Umgebung schaffen. Ich segne auch alle, die an diesem Platz vorbei kommen, mit meinen Gedanken und Absichten, damit sie den besten Tag haben. So stricke ich. Ich grüße sie immer mit Liebe, ich lächle sie offen an, und wenn ich sie traurig sehe, hebe ich meinen Stock und sage: Komm schon, das wird schon wieder.

    Ich bitte auch die Vögel mir dabei zu helfen, ihnen Kraft durch ihren Gesang zu geben, weil ihre wunderbaren Klänge revitalisieren und heilen“.

    Der Junge war absolut erstaunt. Er konnte nicht glauben, was er hörte.
    „Bei dieser leuchtenden Aufgabe, der Erschaffung einer harmonischen Umgebungen beizutragen, bin ich nicht alleine“, bemerkte der Alte. Er breitete seine Arme aus und rief:

    „Sieh dir die Schönheit an, die die Bäume ausstrahlen. Rieche den wundervollen Duft, den die Blumen mit uns teilen, ohne etwas dafür zu verlangen. Schau dir die unermüdliche Arbeit dieser Bienen an und sieh, wie frei die Hunde spielen. Fühle, wie der Wind dich streichelt. Die Existenz strickt auch, auf ihre Art. In meinem Fall stricke ich gerne mit Lichtfäden, deshalb öffne ich jeden Nachmittag mein Herz, damit die Sonnenstrahlen eintreten, mich streicheln und sich zusammen mit meinen reinsten Gefühlen auf dem Boden verankern, damit Mutter Erde spürt, wie sehr ich sie liebe“.

    Schließlich betonte der alte Mann: „Egal wie alt wir sind, wir alle können dazu beitragen, den Stoff einer bewussteren, sensibleren, solidarischen und menschlicheren Welt zu weben, indem wir unsere besten Absichten über die Grenzen hinaus reisen lassen. Wir können auch viel Liebe ausstrahlen, damit sich Wunden schließen, Herzen öffnen und jeder sein maximales Potenzial erreicht, um die transformierende Kraft einfacher Dinge zu entdecken“.

    Die Augen des Jungen begannen zu leuchten. Und in diesem Moment flüsterte der Junge dankbar: „Ich gehe nach Hause Opa. Ich muss das alles meiner Mutter erzählen, denn sie, die zu den Menschen gehört, die ich am meisten liebe auf dieser Welt, strickt immer noch mit Wolle und Nadeln“.

    Maria Frank

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